Kells Rache: Roman (German Edition)
jemanden verließ, der sie vor ein paar Tagen noch mit Vergnügen ermordet hätte. Wie verrückt war diese Welt? Wie ironisch! Jedenfalls hatte sie einen höchst perversen Sinn für Humor.
Vashell umklammerte seine Waffe, packte den Stahl fester, als der Wolf Anlauf für den letzten Sprung nahm. Er knurrte bösartig, als sich sein ganzer Körper anspannte, die Muskeln wie Schlangen unter seinem Fell bewegten und er sich vom Boden abstieß. Vashell riss das Schwert hoch, aber das Tier schlug es zur Seite. Es flog durch die Luft und wirbelte dann in den Abgrund hinab zu den Felsen weit unter ihnen. Vashell riss Arme und Beine hoch, um sie zwischen sich und die Bestie zu bringen. Die Kiefer schnappten nach seinem Gesicht, und der stinkende Atem der Bestie schlug ihm in den Hals. Er schrie. Der Vachine schrie, während die Zahnräder seines Uhrwerks klickten und eine Woge aus von Blutöl gespeister Kraft durch seine Adern toste. Mit beeindruckender Anstrengung hob er das gewaltige Tier an, drehte sich herum und rollte sich mit ihm über den Rand des Bergpasses. Der Wolf wurde von seinem eigenen Gewicht in den Abgrund gezogen. Seine Krallen schlugen tiefe Wunden in Vashells Hals, seine Kiefer schnappten, als er plötzlich wegrutschte und ins Nichts stürzte, sich langsam um seine Achse drehend. Vashell griff mit den Händen um sich, schnappte nach Felsen, aber sein Körper glitt über den Rand, und seine Finger suchten vergeblich Halt. Hätte er seine Vachine-Krallen noch gehabt, hätte er sich retten können. So jedoch rutschte er ein ganzes Stück den nahezu vertikalen vereisten Fels hinab, während er immer panischer nach einem Halt suchte. Schließlich verfing sich sein Stiefel in einer schmalen V-förmigen Spalte, die kaum Platz genug für eine der zähen Bergblumen bot. Aber es reichte, um seinen Sturz aufzuhalten. Er blickte hinab. Der riesige Wolf segelte immer noch in den Abgrund, stumm. Dann verschwand er in den Nebelschwaden und im Schnee. Vashell kämpfte eine Minute, bis er sich müde auf den gefrorenen Vorsprung zog, wo er keuchend liegen blieb.
Alloria war da, hielt seinen Kopf, aber Vashell rappelte sich auf und drehte sich zu dem Rest des Rudels herum. Er ballte die Fäuste und befahl Alloria fauchend, gefälligst wieder in die Höhle zu gehen. Seine Worte waren jedoch kaum als menschliche Sprache verständlich. Er senkte den Kopf für den letzten Kampf, obwohl er genau wusste, dass er ihn nicht gewinnen konnte …
Die Wölfe saßen da und beobachteten ihn, bis sie sich wie auf Kommando herumdrehten und im Sturm verschwanden.
Alloria führte Vashell in die Höhle. Dort sackte er zu Boden, schwer atmend, während Blut aus den Wunden an seinem Hals drang, die ihm der Wolf zugefügt hatte. »Wartet, ich helfe Euch«, sagte sie und riss einen Stoffstreifen von ihrer Garderobe ab, um ihm einen Verband anzulegen. Vashell packte ihr Handgelenk und schüttelte den Kopf.
»Ich brauche Eure Hilfe nicht.«
»Aber Ihr blutet.«
»Ich habe schon früher geblutet, und ich werde wieder bluten. Hört zu: Wenn Ihr Euch nützlich machen wollt, dann holt mir den Kopf des Schnitters. Die Wölfe haben ihn zurückgelassen, als wäre er ein Preis, den ich gewonnen habe.« Er lächelte schwach; sein Gesicht war eine entsetzliche Maske aus Narben und blutenden Wunden.
»Das kann ich nicht.«
»Ihr wollt nicht?«
»Ich kann dieses Ding nicht berühren. Es ist grauenvoll!«
Vashell stemmte sich mit den Ellbogen hoch, stand auf, seufzte und verließ dann die Höhle. Er kam mit dem toten Kopf zurück, den er an der Halswirbelsäule hielt, und warf ihn neben das Feuer.
»Woran habt Ihr gedacht? Wollt Ihr ihn verbrennen?«
»Noch nicht«, antwortete Vashell und wärmte sich die Hände. Sie waren zerkratzt und bluteten von dem Kampf mit dem schwarzen Wolf und von seinem verzweifelten Versuch, sich vor dem grauenvollen Sturz zu retten. »Seht in meinem Rucksack nach. Darin liegt etwas getrocknetes Katzenfleisch. Und mein Jagdmesser.«
»Katzenfleisch?«
»Ich habe einen kleinen Schneepanther erlegt. Genauer gesagt, er hat mich angegriffen, offenbar wahnsinnig vor Hunger. Es war zwar ein bisschen schwierig ohne mein Schwert, aber schließlich konnte ich ihn mit dem Dolch erlegen, obwohl ich lieber meine Vachine-Reißzähne und Krallen benutzt hätte.« Er verfiel in brütendes Schweigen, und Alloria hielt es für klug, auf einen Kommentar zu verzichten.
Sie durchwühlte seinen Rucksack, fand das Trockenfleisch und das
Weitere Kostenlose Bücher