Keltenzauber
stöhnte. Diese Nacht würde keiner von ihnen vergessen. Calum lächelte plötzlich. Später konnte er seinen Enkeln von diesem Abenteuer erzählen. Von der Ungastlichkeit der Menschen und ihrer Welt. Vielleicht? Wenn es ihnen je gelang zurückzukehren? Eine kalte Hand schob sich in seine. Er streichelte Eithnes Finger sachte. War sie doch nicht so stark, wie sie immer tat?
Wütend trat Flanna auf das Gaspedal und fuhr zu schnell, dessen war sie sich bewußt. Eine falsche Bewegung und sie landete ein zweites Mal im Graben, diesmal auch ohne Reh. Ab und zu sah sie zornig in den Rückspiegel, doch von den Schotten war nichts mehr zu sehen. Wieso war sie so leichtgläubig? Und warum taten die Marktleute ihr das an? Nur weil sie glaubte Dougal zuvor einmal gesehen zu haben? Und weil er eine starke Anziehungskraft auf sie ausübte? Es war besser so wie es war.
Auch die lange Fahrt nach Hause hatte sie kaum abgekühlt. Sie war so sauer auf die, die sie auf diese niederträchtige Art täuschten. Andererseits konnte sie sich nicht vorstellen wer so etwas tun würde. Sie stellte den Wagen unter das Vordach, blieb eine Weile darin sitzen ohne ihn auszumachen. Sie starrte auf die Holzwand vor sich. Hatte sie das Richtige getan? Vermutlich sollte sie doch besser die Polizei anrufen? Sie schlug heftig die rechte Faust auf das Lenkrad. Mist! Sie stieg aus und atmete die kalte Winterluft ein. Ihre Einkaufstasche mit den CDs stand links auf dem Boden vor dem Beifahrersitz. Sie beugte sich hinüber, griff danach und schnitt sich.
Der Dolch! Sie stellte die Tasche wieder ab und langte, diesmal vorsichtig nach dem scharfen Metall. Sie hatte ihn vollkommen vergessen. Eingehend betrachtete sie ihn in der schwachen Innenbeleuchtung des Wagens. Was sie sah, ließ sie zutiefst nachdenklich werden. Dieser Dolch war alles andere als gewöhnlich und er schien nicht aus dieser Zeit zu stammen. Er befand sich im Bestzustand, als wäre er neu, und doch war er altertümlich und sicherlich, so wie er hier in ihrer Hand lag, äußerst wertvoll. Hatten die vier ihn absichtlich liegen gelassen, um ihre Unsicherheit zu schüren? Das war unwahrscheinlich, ihre eigene Handlung war unmittelbar gewesen, äußerst unbedacht und dumm. Sie hätte sich verletzen können und niemand hätte ihr Verhalten voraussagen können. Sie hatte nicht die größte Ahnung von solchen Sachen, doch diesen Dolch schätzte sie auf über tausend Jahre alt. Solche Waffen gab es nicht mehr, und wenn, dann nicht in so einem hervorragenden Zustand. Sie mußte plötzlich lachen, als ihr der Ausschnitt aus dem Film Highlander einfiel, in dem seine Liebste seine altertümliche Waffensammlung zu sehen bekam, doch ihr Lachen erreichte nicht ihr Herz. Eine feine Gänsehaut breitete sich auf ihrem Körper aus. Und wenn es stimmte? Was wenn sie die Wahrheit gesagt hatten?
Noch verwirrter schnappte sie sich ihre Tasche, warf die Wagentür zu und ging hinüber zur Haustür. Innen legte sie alles ab, nahm den Dolch und ging zum Telefon. Ihre Hand langte zum Hörer, doch sie hob nicht ab. Dougal mußte doch geholfen werden, wer könnte sich besser darum kümmern als die Polizei? Und wenn sie nichts zu verbergen hatten, was konnte ihnen dann geschehen? Ihre Finger strichen sachte über die flache Seite der Klinge.
Sie hatten die Wahrheit gesagt! Mit einem Mal war sie davon überzeugt. Diese unglaubliche Geschichte stimmte. Sie packte den Dolch am Griff, nahm den Schlüssel auf und ging hinaus zum Auto. Sie mußte sie wiederfinden! Womöglich trug sie sonst die Schuld am Tod von Dougal.
Der Wind trieb den Schnee über die Straße. Spuren konnte sie nicht mehr entdecken, es war zuviel Zeit vergangen. Und sie hatte trotz allem Angst. Sie gab auf. Es war unmöglich jemanden zu finden, der nicht gefunden werden wollte. Nicht in dieser Nacht!
Die seltsamsten Empfindungen teilten ihr Herz. MacBochras und MacDougals Feinde? Wenn sie Recht hatte und die Geschichte stimmte, dann wären die vier ihre Feinde? Lächerlich. Schließlich waren es weit entfernte Vorfahren, die sich MacBochras nannten.
Mittelalter?
Calum schob die Hand nach draußen. Es war empfindlich kalt, wie gut, daß sie unter dem großen Tuch lagen. Er hob den Saum ein Stück an, um frische Luft hereinzulassen. Es dämmerte bereits. Er spürte Dougals warmen Körper rechts neben sich, links rekelte sich Eithne. Calum konnte ein Gähnen nicht unterdrücken. Die Nacht in der kalten Fremde, zusammengekauert neben dem
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