Kelwitts Stern
versichert.
Kelwitt beugte sich wieder über die Karte, studierte die Linien darauf und fuhr manche von ihnen mit nassen Fingern nach. Er sah tatsächlich nicht mehr so gesund aus wie an dem Tag, an dem Sabrina ihn ins Haus gebracht hatte, fand Nora. Seine Haut glänzte nicht mehr rundherum, sondern wies eine zunehmende Anzahl matter Stellen auf. Und er roch anders als vor einer Woche. Nora hätte nicht sagen können, wonach, aber jedenfalls nicht mehr gut. Faulig irgendwie.
»Hier«, sagte die dünne mechanische Stimme aus der Metallspange auf seiner Schulter.
Die Kinder inspizierten die Stelle, auf die Kelwitts Finger wies.
»Blaukirch«, las Thilo vor.
»Sie haben es sich über die Feiertage so richtig gegeben, und nun wundern Sie sich, dass es Ihnen so geht, wie es Ihnen geht? Ich wundere mich überhaupt nicht. Sie haben zu viel getrunken, zu viel und zu fett gegessen, und Sie sind nicht mehr der Jüngste«, las Doktor Lacher an diesem Morgen einem seiner Patienten die Leviten. »Sie fühlen sich vielleicht krank, aber Sie sind es nicht. Sie verschwenden Ihr Geld, wenn Sie deswegen kommen.«
»Das kann ich mir gerade noch leisten«, knurrte Lothar Schiefer und knöpfte sich das Hemd wieder zu.
»Mir soll es recht sein. Aber da Sie schließlich hier sind, um sich meinen fachmännischen Rat anzuhören: Ändern Sie Ihr Leben. Weniger Stress, weniger Hektik. Wann haben Sie das letzte Mal einen Spaziergang gemacht, einfach so? Lassen Sie ein paar Zigaretten weg, und gönnen Sie sich dafür frische Luft. Und Sie sollten darüber nachdenken, ob es nicht doch an der Zeit wäre, ein bisschen sesshafter zu werden. Glücklich verheiratete Männer leben länger – aber das habe ich Ihnen letztes Jahr auch schon erzählt.«
»Ja. Aber ich nehme an, ehetaugliche Frauen gibt es immer noch nicht auf Rezept?«
Doktor Lacher stellte kopfschüttelnd die Nierenschale mit dem bei der Untersuchung verbrauchten Einwegmaterial beiseite. »Hör sich einer diesen Mann an! Einer wie Sie, ein Mann in seinen besten Jahren …«
»Gerade haben Sie mir noch vorgehalten, ich sei nicht mehr der Jüngste!«
»Das ist dasselbe, nur netter ausgedrückt.«
»Abgesehen davon kenne ich so gut wie keinen glücklich verheirateten Mann. Die meisten verheirateten Männer, die ich kenne, flüchten vor ihren Familien in die Arbeit und hoffen, dass sie der Herzinfarkt vor der Rente einholt.« Lothar Schiefer betrachtete seine Krawatte, als habe er etwas ungeheuer Interessantes darauf entdeckt. »Allenfalls Mattek scheint glücklich verheiratet zu sein.«
Der Arzt schaute auf. »Mattek?«
Lothar Schiefer beschloss, die Krawatte zusammenzurollen und in die Tasche seines Jacketts zu stopfen. »Haben Sie den schon verdrängt? Wolfgang Mattek. Er hat Sie mir empfohlen, kurz bevor das mit dieser Fernsehsendung war.«
»Nein, nein, daran erinnere ich mich natürlich noch. Es ist nur seltsam, dass Sie ihn erwähnen, gerade als …« Doktor Lacher hielt inne und presste die Lippen zusammen. »Na ja«, meinte er dann. »Zufall.«
Der Finanzberater musterte ihn aufmerksam. »Gerade als – was?«
»Nichts. Es hat nichts zu bedeuten.«
»Das sagen Sie, weil Sie denken, dass es sehr wohl etwas zu bedeuten hat.«
»Vielleicht. Ich weiß nicht, ob es etwas zu bedeuten hat.«
»Und wovon«, setzte Lothar Schiefer den Bohrer an, »reden wir jetzt genau?«
»Von einem dummen Streich. Nichts Wichtiges. Eigentlich war es sogar amüsant.«
Lothar Schiefer starrte den Arzt an, als habe der gerade angefangen, Kisuaheli zu sprechen, klappte die Augen zu und dann wieder auf, und alles war immer noch so, wie es war. »Wolfgang Mattek hat Ihnen einen Streich gespielt? War es das, was ich Sie da eben gerade habe sagen hören? Reden wir von demselben Mann?«
»Na ja – eigentlich waren es seine Kinder. Aber ich könnte mir vorstellen, dass er dahintersteckt. Ich bin mir fast sicher.«
»Wolfgang Mattek? Der allseits bekannte Fabrikant von Feuerwerksartikeln?« Lothar Schiefer holte tief Luft. »Es ist Ihnen hoffentlich klar, dass Sie jetzt nicht mehr darum herumkommen, mir die ganze Geschichte zu erzählen? Vorher kriegen Sie mich nicht durch diese Tür da.«
»Es ist unwichtig, glauben Sie mir. Belanglos. Ich hätte nicht davon anfangen sollen.«
»Ich verdiene meinen Lebensunterhalt damit, mir Dinge anzuhören, die andere für belanglos halten.«
Doktor Lacher wand sich förmlich. »Wirklich, ich sollte das nicht erzählen …«
»Oh doch. Sie müssen
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