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Kelwitts Stern

Kelwitts Stern

Titel: Kelwitts Stern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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an. »Ich vermute, dass Sie an einer Sauerstoffvergiftung leiden.«
    »Was?!«, riefen Sabrina und Thilo beinahe im Chor.
    »Das kommt euch seltsam vor, nicht wahr?«, schmunzelte Doktor Lacher. »Aber lasst euch gesagt sein, dass Sauerstoff ein überaus aggressives Gas ist. Nur wenige Gase sind noch aggressiver. Sauerstoff kann sogar Metalle zersetzen – Rost ist nichts anderes als Eisen, das dem Angriff von Sauerstoff erlegen ist. Es ist fast ein Wunder, dass unser Körper so gut damit fertig wird.«
    »Aber er atmet doch auch Sauerstoff«, wandte Sabrina ein. »Sein Körper müsste doch damit genauso gut fertig werden!«
    »Es würde doch reichen, wenn er einfach weniger oft atmet«, meinte Thilo.
    »Das tut er zweifellos auch«, vermutete der Doktor.
    Kelwitt machte seine Geste der Bestätigung, hielt mittendrin inne und nickte, so gut er es konnte. »Ja. Ich glaube, so ist es.«
    »Vielleicht«, schränkte Doktor Lacher ein, »ist Sauerstoffvergiftung auch das falsche Wort. Aber ich denke, dass wir es grundsätzlich mit einer Unverträglichkeitsreaktion auf die irdische Atmosphäre zu tun haben. Das ist ein sehr kompliziertes Gebiet, in dem Blutgaskonzentrationen, Mischungsverhältnisse und andere Dinge eine Rolle spielen, und all das wirkt letztlich zurück auf den gesamten Stoffwechsel. Da kann es durchaus sein, dass eine Atmosphäre, die für ihn zunächst gut atembar ist, sich auf Dauer – und er ist ja nun schon eine Weile hier – als nicht ganz so verträglich erweist.«
    Daran hatten sie einen Moment zu kauen.
    »Ich denke, Sie haben recht«, brach Kelwitt schließlich das verdutzte Schweigen. »Aber was kann ich nun tun?«
    Der Arzt wiegte den Kopf. »Da kann ich Ihnen leider wenig raten. Es gibt natürlich Medikamente gegen die Beschwerden, die Sie haben, aber diese Medikamente sind für Menschen gedacht. Da Sie bereits auf Karotten und Kartoffeln empfindlich reagiert haben, müssen wir davon ausgehen, dass diese Medikamente bei Ihnen nicht die gewünschte Wirkung haben würden. Möglicherweise wären sie sogar gefährlich. Im Grunde können Sie nur versuchen, eine andere Luft zu atmen – eine, die der Atmosphäre Ihrer Heimatwelt so nahe wie möglich kommt. Am besten wäre es natürlich, Sie könnten nach Hause zurückkehren.«
    Kelwitt machte eine seiner faszinierenden fließenden Gesten, deren Bedeutung Sabrina noch nicht enträtselt hatte. »Ja«, erklärte er dazu. »Das wäre am besten.«
    »Nun?«, meinte Doktor Lacher zufrieden zu seiner Assistentin, die nun wieder so mausgrau wie immer wirkte. »Wie haben wir uns geschlagen?«
    »Ich weiß nicht so recht«, erwiderte Stefanie. »Mich irritiert immer noch, dass dieser Moderator nicht aufgetaucht ist.«
    »Keine Angst, ohne unsere ausdrückliche Erlaubnis können sie es nicht senden.« Er musterte die Zimmerecken und Arzneischränke eingehend. »Ich wüsste gern, wo sie die Kameras versteckt haben. Wahrscheinlich in der Roboterpuppe. Bestimmt eine interessante Perspektive, uns dann so zu sehen.«
    Die Sprechstundenhilfe starrte die Tür an, durch die die drei gegangen waren. »Der sah wirklich verdammt echt aus«, meinte sie versonnen.
    »Nicht wahr? Unfassbar, was diese Fernsehleute für einen Aufwand treiben.« Doktor Lacher klatschte in die Hände. »Jedenfalls war es ein amüsanter Vormittag. Auch wenn wir dadurch mit dem Papierkram hintendran sind.« Plötzlich hielt er inne und meinte in einem Ton, als spräche er zu sich selbst: »Stellen Sie sich vor, wie das wäre, wenn tatsächlich Wesen von anderen Planeten hierher auf die Erde kämen! Wenn sie hier leben und arbeiten würden. Wenn sie im Bus neben einem säßen. Wenn sie zu uns in die Praxis kämen mit völlig andersartigen Krankheiten … Man könnte noch einmal ganz von vorn anfangen zu studieren. Wie das wäre …« Ein paar Augenblicke lang Stille im Zimmer. Als ginge ein Engel vorbei, leise, auf Zehenspitzen und mit angezogenen Flügelspitzen.
    Dann war es vorbei. Doktor Lacher gluckste plötzlich, sein üblicher Sarkasmus. »Aber wahrscheinlich«, meinte er polternd, »müsste man mit einer Krankenkasse auf dem Sirius abrechnen, und wer weiß, wie die sich erst anstellen …!«
    »Und was machen wir jetzt?«, fragte Sabrina, während sie durch die Kälte heimwärts trotteten. Um irgendwelche Blicke irgendwelcher Passanten kümmerten sie sich gar nicht mehr. »Sollen wir ihn unter eine Art Anti-Sauerstoff-Zelt stecken?«
    Thilo hatte die Hände in die Jackentaschen gestopft.

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