Kelwitts Stern
müssen; mit ihm war es immer wunderbar gewesen. Aber irgendwann war sie sich vorgekommen wie in einer italienischen Tragödie.
»Sabrina?! Mich zu fragen, ob ich mich an dich erinnere? Mi amore – wie könnte ich dich vergessen? Sag, was du auf dem Herzen hast; ich tue alles für dich.«
Als sie es ihm erklärte, schien ihm das Herz zu brechen. »Morgen? Impossibile! Madre mio, warum rufst du erst jetzt an? Morgen geht es nicht, ausgeschlossen. Wir fahren alle nach Italien, die ganze Familie trifft sich, um das neue Jahr zu erwarten. Wir werden einen Blick auf den Ätna haben, und meine Großmutter wird kochen … Willst du nicht mitkommen? Ja, komm doch mit! Dann lernst du meine ganze Familie kennen, und auf dem Rückweg fahren wir in dieses – wie war der Name doch gleich?«
Nach diesem Telefonat musste sie eine Pause machen, weil es ihr in den Ohren surrte. Sorgenvoll betrachtete sie den kleiner werdenden Stapel. Wenn das so weiterging, nutzte ihr der ganze Fundus an Männern nichts. Hatten die nichts anderes im Kopf als Silvesterfeten?
Alex. Das war nett gewesen. Sie hatten es am Waldrand gemacht, auf weichem Moos, weit weg vom Zeltlager, und hatten danach nackt dagelegen und sich die Sterne und die schwarzen Silhouetten der Tannen angeschaut, bis ihnen kalt geworden war.
Unter der Telefonnummer meldete sich seine Mutter, die ihr sagte, dass Alex ausgezogen sei, und ihr die neue Nummer gab. Als sie dort anrief, hörte sie, wie sie automatisch weiterverbunden wurde, und dann das typische Klingeln eines Mobiltelefons.
»Sabrina? Ach so, ja, klar. Entschuldige, natürlich erinnere ich mich. Ich bin bloß gerade im Stress, weil – also, ich bin gerade im Krankenhaus, und meine Frau – ich meine, wir – also, das Baby kommt jeden Moment …«
»Dann ruf’ ich besser ein anderes Mal wieder an«, schlug Sabrina vor.
»Ja, das wär’ toll … Tut mir wirklich leid, dass es grade so ein ungünstiger Moment ist … Wir hatten gehofft, das Baby kommt an Neujahr, weißt du, aber es will wohl doch noch das alte Jahrtausend mitkriegen …«
Sabrina legte auf und stieß einen Schrei aus. »Ich kann das Wort Neujahr nicht mehr hören!«, rief sie ihrer Zimmerwand zu. »Und das Wort Silvester gleich zweimal nicht!«
Bodo. Das war ein gebildeter, erwachsener Mann mit Geschmack und Kultur. Das war es auch gewesen, was sie damals an ihm fasziniert hatte. Er war absolut anständig gewesen, hatte ihr vorher in Ruhe erklärt, dass er den Wunsch habe, mit ihr zu schlafen, aber dass sie wissen müsse, dass er verheiratet sei und seine Frau nicht verlassen würde. Sie hatten es dann in einem richtigen Hotel getan und Sekt dazu getrunken, in einer Atmosphäre wunderbarer Melancholie.
»Hier ist der Anrufbeantworter von Isabel und Bodo Fechtner«, hörte sie seine Stimme vom Band. »Leider können Sie uns in diesem Jahrtausend telefonisch nicht mehr erreichen. Wir sind schon mal ein Stück vorangegangen – wenn Sie diese Nachricht hören, sind wir auf Pitt Island im Pazifik, wo das neue Jahrtausend früher anbrechen wird als sonst wo auf der Welt. Bis dann!«
Moritz, den sie auf einem Studentenfest kennengelernt hatte, war inzwischen beim dritten Studienfach angelangt. »Ich fahr’ mit so ’ner Clique runter nach Südfrankreich – da gibt’s ’ne Strecke, bei der der Zug drei Minuten vor Mitternacht in einen Tunnel fährt und erst zwei Minuten danach wieder rauskommt. Geil, oder?«
Guido war ihretwegen auf ein Internat verbannt worden. Er schien ihr das nicht nachzutragen, musste aber passen: »Du, ich hab kein Auto. Sorry.«
Eberhard war der einzige Mann, der je mit ihr Schluss gemacht hatte anstatt, wie sonst, umgekehrt. Ihm war der Sport wichtiger gewesen – Leichtathletik, Handball, Schwimmen.
»Eberhard ist beim Training«, beschied sie eine keifige Frauenstimme, als sie anrief. »Soll ich ihm was ausrichten? Wie war noch mal der Name?«
Was Eberhard wohl an Silvester machen würde? Vermutlich fünf Sekunden vor Mitternacht in ein Schwimmbecken hechten, um erst im neuen Jahrtausend wieder an die Oberfläche zu kommen.
Bis auf ein paar Telefonnummern, unter denen sich niemand meldete, war der Stapel damit verbraucht. Männer! Wenn man sie mal wirklich brauchte, ließen sie einen im Stich. Sabrina blätterte stirnrunzelnd in ihrem Adressbüchlein mit dem Pferdeumschlag, aber jeden wollte sie nun doch nicht fragen. An etliche erinnerte sie sich nicht mehr, und an den Rest nur mit Schaudern.
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