Kelwitts Stern
ohne etwas zu sagen. Er schwieg so beharrlich, dass Wiesel plötzlich abbrach und sich vergewissern musste: »Bist du noch da?«
»Mmh, ja«, erwiderte Hase. »Ich denke nur nach.«
Die Hälfte der Männer war bei dem Massenaufprall auf den VW-Bus, der die Flucht der Zielpersonen gedeckt hatte, mehr oder weniger schwer verletzt worden, drei Männer waren nicht mehr einsatzfähig. Es hatte ein unerhörtes Aufsehen gegeben, die Anwohner waren zusammengelaufen, Polizei und Feuerwehr gleich massenweise erschienen, kurzum, ein Fiasko auf ganzer Linie. Zumal sie die Spur der Flüchtenden verloren hatten.
Völlig unklar war noch, was die beiden Männer in dem VW-Bus zu dieser Zeit in dieser Straße verloren gehabt hatten. Sie lagen gut bewacht in einem Bundeswehrkrankenhaus und waren noch nicht wieder bei Bewusstsein. Der Fahrer des Wagens stammte aus Stuttgart, schien aber in keinerlei Beziehung zur Familie Mattek zu stehen. »Der andere stammt aus Hamburg. Wir haben zwei Tankrechnungen in seiner Brieftasche gefunden, die vergangene Nacht an Autobahnraststätten auf dem Weg von Hamburg nach Stuttgart ausgestellt wurden«, berichtete Wiesel. »Das begreife ich nicht. Er macht den weiten Weg von Hamburg, fährt in diese Straße und behindert im entscheidenden Moment unsere Aktion. Als ob er’s geahnt hätte.«
»Als er in Hamburg weggefahren ist, haben wir ja selber noch nichts davon geahnt«, erwiderte Hase. »Es muss Zufall gewesen sein.«
Wiesel gab einen Knurrlaut von sich. »Zufall, ja? Zufällig hatte er auch einen Zettel mit Matteks Adresse bei sich. Wie findest du das?«
Hase fand das in der Tat merkwürdig, enthielt sich aber eines Kommentars. Die Situation begann ihm zu gefallen. Schließlich war der Zugriff in Stuttgart Wiesels Aktion gewesen, nicht wahr? Wiesel hatte das Ganze geleitet, er hatte massenhaft Leute und Autos und einen Hubschrauber zur Verfügung gehabt, und er hatte es vermasselt. Wiesel würde so schnell keine Aktion mehr leiten, das stand fest.
»Und«, berichtete Wiesel weiter, »er hat alles mit einer Handkamera gefilmt. Die hatte er nämlich auch zufällig dabei. Wir analysieren gerade die Aufnahme, um das Kennzeichen des Fluchtfahrzeugs zu ermitteln.«
»Hmm«, machte Hase kopfschüttelnd. Mit anderen Worten, der Wagen hatte minutenlang vor dem Haus gestanden, und niemand hatte daran gedacht, sich die Nummer aufzuschreiben? Großartig. Noch ein Nagel an dem Sarg, in dem Wiesel seine Karriere beerdigen konnte.
»Dann können wir eine Großfahndung einleiten«, ließ sich Wiesel kämpferisch vernehmen.
Zeit für den Gnadenstoß, fand Hase. »Das werden wir bleiben lassen«, erklärte er und versuchte, seine Stimme kalt und markig klingen zu lassen. »Das Letzte, was ich will, ist, dass irgendein Hinterwäldler-Polizist den Außerirdischen vor Schreck über den Haufen schießt.«
»Aber …«
»Nimm alle Männer, die noch laufen können, und alle Autos, die noch fahren, und kommt hierher zurück. Die nächste Aktion leite ich persönlich.« Das klang gut, fand Hase. Ein ganz neuer Stil. Es war ziemlich genial gewesen, hier die Stellung zu halten und Wiesel vorzuschicken.
Na gut, eigentlich war es Feigheit gewesen.
Aber ein General stürmte heutzutage nun mal nicht seinen Truppen voran. Das musste man auch mal so sehen.
»Die nächste Aktion?« Wiesel klang verdattert. »Was für eine Aktion?«
Hase lächelte verächtlich. »Ich weiß nicht, wo sie gerade sind, und es interessiert mich auch überhaupt nicht«, erklärte er. »Früher oder später müssen sie hierherkommen. Sie haben keine andere Wahl. Und wir werden sie erwarten.«
»Was macht sie da?«, fragte Nora.
Thilo kaute gerade mit vollen Backen und konnte nicht antworten. Nora spähte wieder hinaus, aber der Anblick war immer noch derselbe: Sybilla stand an einem großen Baum und umarmte ihn mit geschlossenen Augen.
»Sie redet mit ihm«, erklärte Thilo. »Mit dem Baum. Das kann jetzt stundenlang so gehen.«
Nora hob die Augenbrauen. »Ah. Ich wusste nicht, dass Bäume so geschwätzig sind.«
Dabei standen sie nun schon seit geraumer Zeit auf diesem abgelegenen Parkplatz. Sie hatten bei einem Schnellrestaurant gehalten und etwas zu essen geholt, wobei Kelwitt sich im Wagen versteckt gehalten und Nora alles bezahlt hatte, dann war Sybilla mit ihnen kreuz und quer durch die Gegend gefahren, bis sie schließlich hier gelandet waren, mitten im einsamsten Wald. Und nun begann es leicht zu schneien. Auf Sybillas dunklem
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