Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kelwitts Stern

Kelwitts Stern

Titel: Kelwitts Stern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
Vom Netzwerk:
ehe sie zu Sybilla ins Auto sprangen, war, die Steuereinheit zu starten.
    Das Gerät hatte aus sicherheitstechnischen Gründen einen Mindestvorlauf von fünfzehn Sekunden. Fünfzehn Sekunden, nachdem Thilo den Startknopf gedrückt hatte, schon in Sybillas Bus saß und sich fragte, was er falsch gemacht hatte, begann das Feuerwerk im Zeitraffer.
    Die Ersten, die nicht wussten, wie ihnen geschah, waren die Piloten des Hubschraubers, als ein wahres Trommelfeuer von Raketen gegen den Rumpf schlug und durch die Rotoren fetzte. Verglichen mit ernsthaften Sprengkörpern waren Silvesterraketen Spielzeug, aber in so großer Menge und aus so großer Nähe konnten sie doch gefährlich werden. Der Pilot, der nicht wusste, was da um ihn herum explodierte, der nur begriff, dass er beschossen wurde, riss seine Maschine mit jaulenden Turbinen hoch und vergaß alle Befehle von wegen Überwachung und Verfolgung eventueller Flüchtender.
    Die Agenten, die auf das Haus und den Campingbus zustürmten, blieben erschrocken stehen. Einen Kugelhagel, das hätten sie verstanden, darauf waren sie gefasst, dafür wären sie trainiert gewesen. Aber das? Eine ohrenbetäubende Salve von Böllern? Ein Bombardement chaotisch umherzuckender Schwärmer? Bengalische Feuer, die über dem Dach aufstiegen wie ein Springbrunnen aus Licht? Kein Training der Welt hatte sie auf einen derartigen Augenblick vorbereiten können. Tourbillonraketen schossen auf niedrigen, spiraligen Bahnen über ihre Köpfe hinweg und zwangen sie in Deckung. Girandoles stiegen auf wie wütende Hornissen, versprühten ihr Feuer mit wütendem Zischen und ließen sie erwarten, das Haus könnte im nächsten Moment explodieren. Heuler jagten in einem kakophonischen Angriff über die Straße und die Dächer und ließen sie glauben, den Verstand verloren zu haben.
    Dennoch ist eine Schrecksekunde eben nur das: eine Sekunde. Wiesel war der Erste, der sich fasste. »Verfolgt den Campingbus!«, schrie er, zuerst in sein Funkgerät, dann so laut er konnte. Seine Stimme riss andere aus ihrer Erstarrung. Einer der Männer aus dem weißen Lieferwagen begann, auf die Reifen der Autos zu schießen. Die Agenten warfen sich in Deckung und schossen zurück. Das war endlich etwas, mit dem sie sich auskannten, und einen Herzschlag später rollte der Mann im hellen Overall aus seiner Deckung, das Gesicht schmerzverzerrt, die Hand auf eine Stelle an der Schulter gepresst, an der der helle Overall dunkelrot zu werden begann. Männer sprangen in Autos, Motoren jaulten auf. Der Campingbus war an ihnen allen vorbeigefegt, aber nun drehten Autos mit heulenden Reifen um und nahmen die Verfolgung auf.
    Sybilla stand auf dem Gas.
    Hielt das Lenkrad umklammert. Weigerte sich zurückzublicken. Die anderen saßen starr vor Schreck – Thilo und seine Mutter über das, was da mit irrsinniger Geschwindigkeit geschah, Kelwitt darüber, dass er auf einem entsetzlich weichen Sitz gelandet war, der so schaukelte und federte, dass er es schier nicht aushielt.
    Das unerwartete Feuerwerk hatte ihnen einen Vorsprung verschafft, aber der reichte nicht einmal bis zur Hauptstraße hinab und wurde zudem immer knapper.
    Sie wären nicht entkommen, wenn nicht noch ein Wunder passiert wäre.
    Ein richtiges diesmal.
    »Oh-oh!«, hatte Rainer gemacht, als sich plötzlich der Hubschrauber aus den Wolken herabsenkte. »Vielleicht sollten wir ein andermal wiederkommen, was meinst du?«
    »Ja«, meinte Thomas und musste schon etwas lauter sprechen. »Ich habe auch das Gefühl, wir würden gerade nur stören.«
    Er ließ den Motor wieder an. Die Männer, die aus ihren Wagen stiegen und auf das Haus zugingen, hörten nichts davon, weil der Rotor des Hubschraubers alles überdröhnte.
    »Schau dir die an!«, schrie Rainer auf. »Nicht zu fassen!«
    Thomas hatte den Gang schon eingelegt, aber er vergaß loszufahren, als er sah, wie die Frau mit schwarzen, wehenden Haaren und schwarzen, wehenden Kleidern zurück in ihren Campingbus stürzte und damit durch den Vorgarten fuhr.
    »Die hauen ab!«, rief Rainer und hielt mit der Kamera drauf. »Mann, die haben doch keine Chance.«
    »Da ist er!«, hörte sich Thomas sagen.
    »Was? Was ist?«, brüllte Rainer.
    »Der Außerirdische. Er ist in dem Wagen.«
    »Was? Red lauter, ich versteh’ kein Wort …«
    Was dann geschah, geschah in Sekunden, aber in der Erinnerung sollte es Thomas Thieme immer wie Stunden vorkommen. Der Bus mit den Flüchtenden kam heran, die Straße herab, auf sie zu, an

Weitere Kostenlose Bücher