Kelwitts Stern
Nahaufnahme in Halbtotale. Kelwitt kommt ins Bild.
»Hallo, Sabrina«, erklang die mechanische Stimme des Übersetzungscomputers in einwandfreiem Deutsch mit leicht schwäbischem Akzent. Das Wesen aus dem Weltraum sah unschlüssig zwischen Sabrina und der Kamera hin und her. Sie hatten ihm erklärt, was sie vorhatten und dass es sich um eine Aufnahme handelte, ähnlich wie das, was er im Fernsehen zu sehen bekam. »Werdet ihr das ebenfalls im Fernsehen zeigen?«, hatte er wissen wollen. Sabrina hatte ihn beruhigt – das könne sein, aber auf jeden Fall erst, wenn er abgeholt und in Sicherheit sei.
»Kelwitt«, bat Sabrina, »erzähle uns ein bisschen über dich, deinen Heimatplaneten und den Grund deiner Reise zur Erde.«
Kelwitt beschrieb bereitwillig seine Heimat – eine wasserreiche Welt, die eine große, orangegelbe Sonne umkreiste –, schilderte das Leben seines Schwarms in der Donnerbucht und erklärte die Hintergründe einer Orakelfahrt.
»Unsere Sonne ist also seit deiner Geburt in den jombuuranischen Sternkarten als Kelwitts Stern registriert?«, vergewisserte sich Sabrina. »Für alle Zeiten?«
»Ja«, bestätigte Kelwitt und nickte in einer Weise, die zugleich fremdartig und sympathisch wirkte.
Die Sache machte Spaß, fand Sabrina. Sie hatte so etwas noch nie gemacht – sich für eine Kamera zurechtmachen, Interviewfragen auf Karteikarten kritzeln, all das –, aber es machte richtiggehend Spaß.
»Und vor deiner Geburt? Welchen Namen hatte unsere Sonne da?«
»Gar keinen. Nur eine Nummer. Jeder Stern erhält eine Nummer, und in dieser Reihenfolge werden sie verschenkt und nach den Neugeborenen benannt.«
Er erklärte die Funktionsweise des Computers, der in Form einer Metallspange auf seiner Schulter saß und »Tik« hieß, und schilderte die Ereignisse, die zu seinem Absturz geführt hatten, und was danach geschehen war.
Das hörten Sabrina und Thilo nun zum ersten Mal, dass ihn jemand mitgenommen und dass es einen Unfall gegeben hatte.
»Hat er gesagt, wie er heißt?«
»Zu der Zeit hatte Tik eure Sprache noch nicht analysiert. Ich habe deshalb nichts verstanden von dem, was gesprochen wurde.«
Sabrina sah ihn an und spürte ein ungutes Zittern im Bauch. Das hieß ja wohl, dass Kelwitts Absturz beobachtet worden war – natürlich, der ganze Himmel wurde ja ständig mit Radar abgetastet – und dass jemand die Sache untersucht hatte. Wahrscheinlich lag Kelwitts Raumschiff schon in irgendeinem Laboratorium und wurde von einem Heer weiß bekittelter Wissenschaftler nach allen Regeln der Kunst auseinandergenommen. Man kannte das ja aus diesen ganzen Filmen.
Und das wiederum hieß, dass insgeheim wahrscheinlich mit Hochdruck nach Kelwitt gefahndet wurde!
Na, und wenn schon, dachte sie trotzig.
Frau Lange fiel ihr ein. Wenn die auf die Idee kam, zur Polizei zu gehen …
Schluss damit. Das führte zu nichts. Die Kamera lief, und das Interview musste geführt werden. Sie zückte ihre nächste Karteikarte. Was sagten die Erde und ihre Sonne denn nun über Kelwitts künftiges Schicksal?
Kelwitt holte sein Orakelbuch hervor und las ein paar Sentenzen vor, die ziemlich nach Horoskop und Hokuspokus klangen. Dann ließ er das Buch sinken. »Dass ich gelandet bin, war nicht vorgesehen, aber zweifellos ist es ebenfalls bedeutsam, weil alles bedeutsam ist, was einem auf einer Orakelfahrt widerfährt. Ich muss die Zeichen selber erkennen und aus eigener Anschauung deuten. Intuitiv. Das ist schwierig. Es gibt nur einen einzigen Anhaltspunkt, den Mu’ati nennt: Wird der eigene Stern von einem Planeten umkreist, der einmal bewohnt war, dessen Bewohner aber ausgestorben sind, so ist dies das schlechteste Vorzeichen, das es geben kann. Es bedeutet ein kurzes, unglückliches Leben und einen frühen, qualvollen Tod.«
»Ups«, machte Sabrina.
»Leider«, fuhr Kelwitt fort und ließ einige seiner Finger einen Schlangentanz aufführen, »sind die Nachrichten, die ich bis jetzt gesehen habe, sehr beunruhigend. Ihr vergiftet eure Luft und euer Wasser, und ihr zerstört die Schutzfunktion eurer Atmosphäre. Es gibt mehr von euch, als ihr ernähren könnt – was ja auch kein Wunder ist, so viel, wie ihr esst. Und ihr seid sehr gewalttätige Wesen. Ihr führt immerfort Kriege, und ihr besitzt unsinnig viele gefährliche Waffen. Das alles ist, fürchte ich, ein schlechtes Zeichen für mich.«
Sabrina schluckte. Ganz so cool wie die Frauen von der Tagesschau war sie wohl doch noch nicht, sonst wäre ihr jetzt
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