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Kelwitts Stern

Kelwitts Stern

Titel: Kelwitts Stern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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unter der Zunge verborgenen Tabletten in die Blumenvase auf seinem Nachttisch, wenn er wieder allein im Zimmer war. Woher die Blumen in der Vase stammten, entzog sich seiner Kenntnis, aber seit heute Morgen wiesen die Blütenblätter seltsame rote Streifen auf. Was ihm zu denken gab.
    Es war eindeutig an der Zeit zu gehen. Die Kopfschmerzen hatten nachgelassen, auch ohne Tabletten, die Rippenschmerzen waren erträglich, und die blauen Flecken überall würden von alleine vergehen. Schließlich hatte er einen Auftrag von immenser Bedeutung zu erfüllen, da war keine übertriebene Wehleidigkeit angebracht. Wenn es um das Wohl und Wehe der Menschheit ging, durfte man sich nicht schonen.
    Die Schränke, auch das hatte er in einem unbeobachteten Augenblick schon untersucht, waren genauso leer wie das zweite Bett im Zimmer. Auf die Nachfrage, wo seine Sachen seien, hatte die Schwester nur ausweichend geantwortet. Er würde sie bei der Entlassung wiederbekommen. Ha, ha. So lange konnte er nicht warten.
    »Ich möchte nach Hause«, hatte er dem Arzt bei der Morgenvisite gesagt.
    Der hatte nur gelächelt. »Frühestens in einer Woche.« Und ihm wieder eine Tablette in den Mund gestopft. Einfach lächerlich das Ganze. Er wartete, bis es draußen auf dem Gang ruhig war, stand dann auf und streckte den Kopf aus der Tür. Glück gehabt, der Gang war leer. Offenbar war Schichtwechsel oder so etwas, jedenfalls waren alle Pfleger im Stationszimmer versammelt.
    Schön. Also, er hatte verschiedene Möglichkeiten. Er konnte hinabgehen in den Aufenthaltsbereich, in dem es sicher auch ein paar Münzfernsprecher gab, konnte sich von jemandem ein paar Groschen leihen und seine Dienststelle anrufen. Oder, noch kühner, er konnte einfach in ein Taxi steigen und sich nach Hause fahren lassen. Wenn er es recht bedachte, gefiel ihm diese Möglichkeit noch besser.
    Es gab Türen an beiden Enden des Flurs, und er ging, als sei es das Normalste der Welt, dass ein Mann in einem lächerlichen weißen Nachthemd und auf nackten Füßen umherwanderte, zu der, deren Weg nicht am Fenster des Stationszimmers vorbeiführte.
    Sie war verschlossen, verdammt noch mal.
    Er drehte sich um und musterte die andere Tür, wägte die Chancen ab, unentdeckt am Stationszimmer vorbeizukommen … Moment mal! Jetzt erst entdeckte er die Aufschrift, die in dicken schwarzen Klebebuchstaben außen auf der Milchglasscheibe der Tür angebracht war. Spiegelverkehrt natürlich, nur verschwommen durchschimmernd, aber durchaus zu entziffern.
    »Psychiatrie«, las er fassungslos.
    Die Videoaufnahmen machten sie in Thilos Zimmer. Thilo hatte außer der Kamera auch ein Stativ mitgebracht und zwei Halogenlampen, mit denen er eine Ecke des Zimmers ausleuchtete, richtig professionell, mit zwei Stühlen und Blick durch das Fenster auf die Nachbarschaft. Sabrina beobachtete ihren kleinen Bruder und kam nicht umhin, sich zu wundern; so emsig und sachverständig hatte sie ihn sein Leben lang noch nicht arbeiten sehen.
    Kelwitt machte alles geduldig mit.
    Er hockte auf seinem Stuhl und verfolgte Thilos Vorbereitungen, wobei über seine Augen ab und zu milchige Schleier zogen, was bei ihm vielleicht einem Blinzeln angesichts der beiden hellen Lichtquellen gleichkam.
    »Okay«, meinte Thilo schließlich. »Können wir?«
    Sabrina sollte die Interviewerin spielen. Sie hatte sich ein bisschen geschminkt und einigermaßen gut angezogen und kam sich fast vor wie die Sprecherin der Tagesschau. »Alles klar«, nickte sie und schluckte einen trockenen Kloß herunter.
    »Aufnahme läuft in drei … zwei … eins …«, zählte Thilo mit den Fingern rückwärts wie ein gelernter Profi, und dann leuchtete das kleine rote Lämpchen über dem Objektiv auf. Jetzt begann es also. Sabrina setzte ein Lächeln auf, sah in das dunkle Auge der Kamera, als wolle sie mit dem Gerät flirten, und sagte den Text auf, den sie sich zurechtgelegt hatte. »Guten Tag. Mein Name ist Sabrina Mattek, und wir schreiben heute, zum Zeitpunkt dieser Aufzeichnung den 20. Dezember 1999.« Zum Beweis hielt sie die aktuelle Ausgabe der Stuttgarter Zeitung hoch und ließ die Videokamera einen ausgiebigen Blick auf die Schlagzeilen des Tages werfen. »Seit vergangenen Freitag ist bei uns ein Wesen aus dem Weltraum zu Gast, ein Bewohner des Planeten Jombuur, der mit seinem Raumschiff auf die Erde abgestürzt ist und nun darauf wartet, von seinem Mutterschiff abgeholt zu werden. Sein Name ist Kelwitt. Hallo, Kelwitt.«
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