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Kelwitts Stern

Kelwitts Stern

Titel: Kelwitts Stern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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eine Frage oder eine Rechtfertigung oder sonst irgendwas eingefallen.
    »Ihr seid zwar noch nicht ausgestorben«, erklärte Kelwitt und wiegte den Kopf, »aber ihr könntet es in nächster Zukunft sein.«

11
    Seit Thilo im Altersheim nur noch Gast war, musste er keine pflegerischen Arbeiten mehr verrichten, woran er ohnehin nie besonders Gefallen gefunden hatte. Was ihn faszinierte, waren die Menschen, die hier lebten: Menschen, die beinahe ihr ganzes Leben schon hinter sich hatten – zumindest den relevanten Teil davon – und nun auf Zeiträume, die aus der Perspektive eines Sechzehnjährigen endlos anmuteten, zurückblicken konnten, vor sich nichts mehr als eine ungewisse Zeit des Wartens und den Tod. Manchmal kam ihm diese Faszination selber ziemlich morbide vor, aber er ging immer wieder hin, besuchte den einen oder anderen, schob Rollstühle, saß an Betten oder Lehnstühlen und hörte zu. Vor allem deswegen war er ein gerngesehener Besucher – gern gesehen auch vom Pflegepersonal, dem sinkende Budgets und steigende Arbeitsbelastung nicht mehr allzu viel Zeit für Menschlichkeit ließen.
    An diesem späten Montagnachmittag besuchte er seinen liebsten Bekannten, einen mageren alten Mann namens Wilhelm Güterling, der wenige Wochen zuvor seinen einundneunzigsten Geburtstag gefeiert hatte. Güterling war, das erzählte er jedes Mal mit nie ermüdender Inbrunst, während des Krieges in Peenemünde gewesen, als Mitarbeiter von Wernher von Braun, der später der Vater des amerikanischen Mondlandungsprogrammes werden sollte. »Nach dem Krieg kamen die Amerikaner« – an dieser Stelle fasste er immer nach Thilos Arm und drückte ihn mit erstaunlicher Kraft – »und machten von Braun das Angebot, nach Amerika zu gehen. Er hat mich gebeten mitzukommen, ja, das hat er. Ich habe damals abgelehnt, weil meine Frau nicht wollte. Kannst du dir das vorstellen? Wir haben uns hier durchgeschlagen, in den Trümmern, in elenden Jobs. Und dann hat sie mich doch verlassen, das Miststück. Geschieht ihr recht, dass sie so früh gestorben ist, und weiß Gott, ich habe immer noch keine Lust, sie wiederzusehen, das kannst du mir glauben!« Damit war die übliche Routine erledigt, und der alte Mann ließ seinen schlohweißen Kopf sinnend vor sich hin nicken, in unbestimmte Fernen starrend.
    »Herr Güterling«, fragte Thilo, »glauben Sie, dass es andere Planeten gibt, auf denen Wesen wie wir leben?«
    »Oh, sicher!« Der Greis sah ihn so entgeistert an, als habe er gerade das Gesetz der Schwerkraft in Frage gestellt. »Ganz ohne Zweifel. Du brauchst nur ein einziges Mal bei Nacht in den klaren Sternenhimmel zu schauen, um zu wissen, dass es so sein muss. Jeder dieser Sterne ist eine Möglichkeit, ein Los in der Lostrommel. Und wenn du erst einmal durch ein Teleskop siehst … So viele Sterne. Winzigste Lichtpunkte, Unendlichkeiten entfernt, die in Wahrheit Galaxien wie unsere Milchstraße sind, aus Hunderten von Milliarden von Sternen bestehen … Niemand kann so vermessen sein zu glauben, dass wir die Einzigen sind in dieser unermesslichen Fülle.«
    »Aber so ein menschlicher Körper ist doch irre kompliziert aufgebaut. Sogar ein Grashalm ist irre kompliziert aufgebaut. Es muss ein unglaublicher Zufall sein, dass es uns überhaupt gibt. Und deswegen könnte es doch sein, dass das im ganzen Universum nur ein einziges Mal geglückt ist.«
    Güterlings Augen blitzten amüsiert auf. In solchen Momenten schien er wieder hellwach zu sein: wenn seine hellblauen Augen funkelten wie frisch polierte Edelsteine. »Wenn das Leben einzig durch Zufall entstünde, mein Junge, dann gäbe es nicht einmal uns. Kein bloßer Zufall könnte das zustande bringen, dafür würden selbst diese Abgründe aus Raum und Zeit nicht ausreichen, vor denen wir stehen. Nein, nein – die Wege der Evolution, oder der Schöpfung meinetwegen, sind schon etwas komplizierter. Der Zufall spielt da nur eine Nebenrolle.«
    »Dann glauben Sie also, dass es Außerirdische gibt?«
    »Ohne Zweifel. Wir werden ihnen vielleicht niemals begegnen, aber ohne Zweifel leben sie irgendwo, auf irgendeinem fernen Planeten, und fragen sich das Gleiche wie wir.«
    »Könnte es sein, dass sie uns besuchen kommen?«
    Der alte Mann sah wieder in eine unsagbare Ferne. »Ich weiß es nicht. Ich habe mir immer gewünscht, dass das einmal passiert. Unsere eigenen technischen Möglichkeiten sind so gering … und das, was wir wissen, lässt uns so wenig Hoffnung, dass es möglich sein könnte

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