Kelwitts Stern
Dann will ich nicht weiter stören.«
»Aber Sie stören doch nie«, versicherte Herr Güterling ihr, ehe sie die Tür wieder zuzog und machte, dass sie ins nächste Bad kam. Dort erbrach sie sich und betrachtete sich dann, nachdem sie ihren Mund ausgespült und das Gesicht mit endlos viel kaltem Wasser gewaschen hatte, lange Zeit im Spiegel. Das war alles nicht wirklich passiert. Genauso wenig wie ihr altes Leben.
Kelwitt hatte sich sofort nach ihrer Rückkehr wieder in sein Planschbecken gesetzt. Man konnte zusehen, wie sein Feuchteanzug sich wieder mit Flüssigkeit vollsog.
»Der alte Erdbewohner hat sich gefreut, mich zu sehen«, sagte er. Es klang nachdenklich, trotz der metallenen Stimme, gerade so, als frage er sich nach dem Grund dafür.
»Ja«, nickte Sabrina.
»Aber nun bin ich schon wieder müde.« Eine schwermütig wirkende Geste mit einer Hand und sachte schlängelnden Fingern. »Immer bin ich müde. Ich weiß nicht, wieso.«
»Es ist spät.«
»Ja.« Er wackelte mit dem Kopf. Das tat er in letzter Zeit öfter, und Sabrina hatte noch nicht herausgefunden, was es zu bedeuten hatte. »Stimmt es übrigens, dass F’tehr und Unsremuutr wieder ein Junges gezeugt haben?«
»Was?« Sabrina riss die Augen auf. »Wie kommst du darauf?«
Kelwitt beugte sich über den Beckenrand und griff nach dem Aufklärungsbuch, das sie ihm zu lesen gegeben hatte. »In der zweiten Nacht, die ich in eurem Nest verbracht habe, bin ich in ihren Raum gegangen, weil ich seltsame Geräusche hörte. Ich wusste nicht, was sie taten.«
Er reichte ihr das Buch. »Nun weiß ich es. Sie zeugten ein Junges.«
Sabrina brauchte ein paar keuchende Anläufe, ehe sie ein hustenartiges Gelächter zustande brachte. »Das glaub’ ich nicht!«, stieß sie hervor. »Das glaub’ ich einfach nicht. Du hast meine Eltern beim Sex beobachtet?«
»Sex, ja«, nickte der Außerirdische ernsthaft. »Der Vorgang der Zeugung eines Menschenjungen.«
»Ja, schon. Aber ich glaube nicht, dass meine Eltern noch mal ein Kind wollen.«
»Wozu haben sie dann Sex gemacht?«
»Du meine Güte. Meistens macht man Sex, weil es Spaß macht!«
»Weil es Spaß macht?« Kelwitts Stirnhaut rings um die Augen kräuselte sich bedenklich. »Davon stand nichts in dem Buch.«
»Ach.« Sabrina schlug es auf, blätterte darin. Kelwitt hatte recht. Das Buch, das im Untertitel versprach, jungen Menschen alle Geheimnisse der Geschlechtlichkeit zu enthüllen, verschwieg die Tatsache, dass Sex Spaß machte.
»Tatsächlich. Das steht nirgends.«
»Es ist«, gab Kelwitt zu und begann, den Feuchteanzug abzustreifen, »schwer vorstellbar, wie euer Akt der Zeugung Spaß machen soll.«
»Ich weiß ja nicht, wie das bei euch ist«, erwiderte Sabrina und klappte das Buch wieder zu, »aber ich kann dir versichern, dass wir Menschen ganz verrückt danach sind.«
Dann stand sie mitten im dunklen Zimmer und lauschte. Ihr Zimmer. Ihr Refugium. Sie lauschte auf ihren Atem. Auf ihren Herzschlag. Hörte dem Regen zu, der sacht gegen die Scheiben rieselte, feucht daran herunterlief. Den Reifen eines langsam vorbeifahrenden Autos, die genüsslich über die klatschnasse Straße schmatzten. Und die Heizung knackte immer wieder wie ein schlecht verschraubtes Bett beim Umdrehen darin.
Sie kannte das Gefühl, das in ihr hochstieg und sich anfühlte, als wäre ihr Körper ein Bogen, der langsam, beinahe andächtig gespannt wurde. So begann es immer. Dann sah immer alles so einfach aus, völlig klar und übersichtlich, und Probleme gab es nicht. Sie hatte gelernt, sich zu sagen, dass die Probleme nur vorübergehend verschwunden waren, dass sie Urlaub genommen hatten, mal kurz ein Bier trinken waren und zurückkommen würden. Weil das Leben nicht so einfach war. Weil es Probleme gab, immer, überall. Weil man Probleme berücksichtigen musste, und wenn man das tat, dann war alles nicht mehr so einfach. Das hatte sie sich beibringen lassen, aber in diesen Momenten glaubte sie sich selbst nicht.
Im Grunde war es doch einfach, oder etwa nicht? Kelwitt würde nicht mehr lange hier sein. Das stand fest. Jeden Augenblick konnte es so weit sein, dass sie kamen, um ihn zu holen, womöglich heute Nacht schon, sicher aber morgen, spätestens morgen Abend. Und dann würde er wieder fort sein. Und sie würde niemals wieder diese feuchte, samtene Haut berühren.
So einfach war das. Wenn sie es jetzt nicht tat, dann würde sie es niemals tun.
Er war nicht wirklich müde. Es wurde Zeit heimzukehren. So
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