Kelwitts Stern
neue Schlafmulde war wirklich wesentlich besser als die alte. Kelwitt fühlte sich beinahe wieder wohl, zumindest hatten die Schmerzen im Rücken ziemlich nachgelassen. Zwar hatte er sehr unruhig geschlafen, war mehrmals nachts aufgestanden und hatte zuletzt gar kein Gefühl mehr dafür, welche Tageszeit auf dem Planeten gerade herrschte, aber das war wahrscheinlich nur eine körperliche Gegenreaktion. Sagte er sich zumindest.
Sabrina hatte ihm – ohne dass er noch einmal danach gefragt hätte – ein interessantes Buch gegeben, in dem nun endlich die Fortpflanzung der Erdbewohner ausführlich erklärt wurde. Wirklich eine interessante Lektüre.
Nein, interessant war nicht das richtige Wort. Bizarr passte besser.
Dass es zwei Arten von Menschen gab, wurde als selbstverständlich vorausgesetzt. Offenbar war das bei allen Erdlebewesen in irgendeiner Form der Fall, sodass niemand auf die Idee kam, zu fragen, wozu es gut sein solle. Diese zwei Arten von Menschen waren zudem in einer Weise unterschiedlich gebaut, dass man den Eindruck bekommen konnte, alles im Leben der Menschen drehe sich um den Fortpflanzungsprozess.
Die Mann-Variante des Menschen verfügte über ein Organ, das an einer dafür denkbar ungeeigneten Stelle – nämlich genau zwischen den Beinen – aus dem Körper wuchs und offenbar, wenn er das richtig gelesen hatte, imstande war, seine Größe und Konsistenz zu verändern. Wann diese Veränderungen erfolgten und wodurch sie ausgelöst wurden, war in dem Buch nur sehr nebulös erklärt, unmissverständlich dagegen, wozu das Organ diente, wenn es seine maximale Größe und Festigkeit erreicht hatte. Kelwitt mochte es kaum glauben.
»Wenn ich das richtig verstehe«, resümierte er für Tik, »dann müssen sich immer genau ein Mann-Mensch und ein Frau-Mensch zusammentun, damit eine Zeugung geschehen kann.«
»Das scheint in der Tat notwendig zu sein«, bestätigte Tik.
»Aber wenn es derart in das Belieben der Menschen gestellt ist, ob sie sich fortpflanzen oder nicht«, überlegte Kelwitt weiter, »dann frage ich mich, wie es dazu kommt, dass es so über alle Maßen viele von ihnen gibt.«
»Das ist eine gute Frage.«
Die Einzelheiten des Zeugungsvorganges waren überaus bizarr. Das Organ des Mann-Menschen drang durch einen speziell für diesen Zweck vorgesehenen Kanal in den Körper des Frau-Menschen ein und deponierte an dessen Ende ein Sekret mit mehreren Millionen Zellen, die jeweils eine Hälfte des Erbguts des Mann-Menschen enthielten. Diese Zellen, die über ein längliches Fortbewegungsmittel verfügten, veranstalteten dann eine Art Rennen, dessen Ziel eine einzige Zelle des Frau-Menschen war, die ihrerseits eine Erbguthälfte beinhaltete. Und nur eine einzige der von dem Mann-Menschen abgegebenen Zellen verschmolz mit dieser Zelle, um so einen kompletten Satz Erbinformationen zu erhalten; die übrigen Millionen Zellen gingen unter. »Wie kompliziert!«, wunderte Kelwitt sich. Aber richtig kompliziert wurde es erst jetzt. Denn diese komplettierte Zelle verblieb nun im Körperinneren des Frau-Menschen, um dort über zahllose Perioden heranzureifen zu einem fertigen Junglebewesen! Kelwitt studierte die Abbildungen und Körperquerschnitte mit gelinder Fassungslosigkeit. Auf manchen sah es aus, als sei das Jungwesen ein unaufhaltsam größer werdender Parasit, der das Wirtswesen nach und nach aushöhlte. Wie ein Frau-Mensch diesen Vorgang aushalten konnte, war Kelwitt ein Rätsel.
Und dann, am Schluss der Entwicklungsperiode, kam das Schlüpfen. Wie er eigentlich nicht mehr erwartet hatte, stellte das den Höhepunkt des Bizarren dar: denn nichts weniger geschah, als dass das große, fertig ausgebildete Jungwesen durch eben den schmalen Kanal hinausgedrückt wurde, der zu Beginn das Organ des Mann-Menschen aufgenommen hatte!
»Das ist, bei Jamuuni, das Unglaublichste, was ich je gelesen habe«, murmelte Kelwitt. Auf den Bildern sah es aus wie eine grässliche Fehlentwicklung der Natur. Die Menschen konnten einem wirklich leidtun. Da war ein Foto einer Menschenfrau, deren Junges gerade schlüpfte, und es schien tatsächlich so schmerzhaft für sie zu sein, wie es der Beschreibung nach sein musste. »Umso unverständlicher, dass sie das überhaupt auf sich nehmen. Im Grunde müssten die Menschen längst ausgestorben sein.«
»Ohne vollständige Kenntnis der Fakten ist das nicht zu beurteilen«, meinte Tik nur.
»Wieso?« Kelwitt blätterte das Buch durch. »Hier stehen sie doch, die
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