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Kelwitts Stern

Kelwitts Stern

Titel: Kelwitts Stern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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Sonnensystems, zu Mars, Venus, Jupiter … Aber verglichen mit Ihrer Technik sind das natürlich nur Kinderschritte. Sie lachen wahrscheinlich über uns.«
    »Oh, nein«, versicherte Kelwitt ihm. »Das ist mir noch nie in den Sinn gekommen. Offen gestanden verstehe ich nicht viel von Raumfahrt.«
    »Aber Sie sind doch sicher mit einem Raumschiff hergekommen? Auf die Erde, meine ich.«
    »Ja. Allerdings bin ich damit abgestürzt.«
    Güterling hob die Augenbrauen. »Heißt das, Sie können nun nicht mehr zurückkehren auf Ihre Welt?«
    »Doch. Zumindest hoffe ich es. Das große Raumschiff wird kommen und mich abholen.«
    »Das große Raumschiff?«, hakte der alte Mann nach. »Was meinen Sie damit?«
    »Das große Raumschiff«, erklärte Kelwitt geduldig, »hat mich vor sechs Tagen Ihrer Zeitrechnung mit einem kleinen Raumschiff in diesem Sonnensystem abgesetzt. Da ich nicht zum vereinbarten Zeitpunkt am Treffpunkt sein werde, wird man mich suchen.«
    »Ah«, sagte Güterling. »Ich verstehe. Eine Art Mutterschiff. Und Sie sind mit einem kleinen Beiboot unterwegs gewesen. Ja, das leuchtet ein. Und wann, denken Sie, wird es so weit sein? Wann wird man Sie abholen?«
    Kelwitt machte eine seiner sanften Gesten, hielt mittendrin inne und hob in einer sehr menschlich wirkenden Weise die Schultern. »Es müsste bald so weit sein. Morgen, oder vielleicht sogar schon heute. Im Prinzip kann es jeden Augenblick geschehen.«
    Güterling nickte verstehend, sagte aber nichts, sondern sah den Gast aus dem Weltraum nur an, so eindringlich und aufmerksam, als wolle er sich dessen wirklicher Gegenwart ganz unzweifelhaft versichern und sich jede Einzelheit seiner Gestalt für immer ins Gedächtnis graben. Kelwitt erwiderte den Blick mit seinen großen, schwarzen, pupillenlosen Augen. Zumindest sah es so aus.
    Wie es wohl sein würde? Sabrina musste sich eingestehen, dass sie darüber noch nicht nachgedacht hatte, die ganze Zeit nicht. Würde es so sein wie in dem Film Unheimliche Begegnungen der dritten Art – ein gewaltiges, lichterglühendes Raumschiff, das sich aus dem Nachthimmel auf erwartungsvoll wartende Menschen herabsenkte? Oder würde man Kelwitt einfach hochbeamen, rasch und unauffällig, fast beiläufig? Sie sah ihren Bruder die beiden so ungleichen Gesprächspartner, ins gemeinsame Schweigen verfallen, gedankenverloren betrachten.
    In diese Stille hinein öffnete sich die Zimmertür.

15
    Elke Gombert, Altenpflegeschülerin im dritten Lehrjahr, blieb in der Tür stehen, mit haltlos herabgesunkenem Unterkiefer, die Klinke in der Hand, und starrte die Gruppe der Besucher an. Was sie eigentlich gewollt hatte – Herrn Güterling die abendliche Spritze mit dem blutverdünnenden Mittel geben – war angesichts insbesondere des einen Besuchers vergessen. Was war das? In welchem Film war sie gelandet? War das … war das etwa …
    … ein Flashback?
    Ein Kaleidoskop längst vergessen geglaubter Erinnerungen schoss in Sekunden vor ihrem inneren Auge vorbei, durchzechte Nächte an den Stränden Marokkos und Goas, selbstmörderische, wilde Fahrten auf schweren Motorrädern, drogenumnebelte Überfälle auf Läden, auf Passanten, ein Sud, der in einem angelaufenen Silberlöffel köchelte, dünne Linien weißen Pulvers auf einem fleckigen Spiegel, abgrundtiefe jenseitshohe Träume, unbeschreibliche Ritte durch unbegreifliche Dimensionen, zahllose wahllose Liebhaber – ein ganzes Leben, mit dem sie Schluss gemacht hatte und von dem niemand etwas wissen sollte, vor allem ihr Freund nicht, an dessen Zuneigung ihre ganze Zukunft hing, ihre ganze Hoffnung. Und nun …?
    Ein Flashback?
    Die Sühne für vergangene Missetaten. Drogen konnten so etwas tun, konnten sich im Körper verstecken und irgendwann wiederkommen, einen neuen Rausch auslösen, eine längst vergangene Vision zurückrufen. Konnten einen glauben machen, man sähe einen Menschen, der wie ein Delphin auf zwei Beinen aussah, mit großen schwarzen Augen wie die Augen eines Rauhaardackelwelpen, einen Delphinmenschen, schlank und schön wie ein Engel.
    Da war eine Stimme. Herr Güterling, der sagte: »Guten Abend, Elke.«
    »Guten Abend, Herr Güterling«, hörte, spürte sie sich sagen. »Sie haben Besuch?«
    »Ja«, sagte Herr Güterling und wies auf den Delphinmenschen. »Das ist Kelwitt. Er kommt von einem Planeten in der Nähe des Milchstraßenzentrums, stellen Sie sich vor. Und das ist Sabrina, die Schwester von Thilo. Na, und Thilo kennen Sie ja.«
    »Ja. Sicher. Schön.

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