Kelwitts Stern
erschüttert.«
Mit einiger Phantasie und an den entsprechenden Orten war es doch fast so etwas wie eine weiße Weihnacht. Zumindest auf der Albhochfläche lag entlang der Straßen und Wege, die sie entlangfuhren, etwas Schnee, dicke graue Wolken hingen vom Himmel herab, und silberner Raureif umklammerte die Äste der Bäume und Sträucher. Es war kalt, und die Luft roch feucht.
Kaulquappe drehte die Tüte wieder zu. »Ich hätte das nicht gemacht, ehrlich gesagt. Engagement gut und schön, aber das Risiko, dass die Firma sich irgendwie rausredet und mir das Geld nicht zurückerstattet, wäre mir zu groß. Ich meine, du hast ja keinen entsprechenden Auftrag, oder? Du machst das auf eigene Faust.«
Hase sah starr geradeaus. »Ich komme mit einem außerirdischen Fluggerät zurück. Wenn die mir das Geld nicht wiedergeben, gehört es mir. Mir ganz allein. Und das Risiko gehen sie nicht ein.«
Die Weihnachtsvorbereitungen im Hause Mattek vollzogen sich angesichts des bevorstehenden Abschieds von Kelwitt in ungewöhnlich wehmütiger Stimmung. Trotzdem ging natürlich alles seinen rituellen Gang. Zum Mattekschen Weihnachtsritual gehörte unter anderem, am Morgen des vierundzwanzigsten Dezember festzustellen, dass noch nicht alle für die Feiertage notwendigen Einkäufe erledigt waren, was dann zur Folge hatte, dass Wolfgang Mattek sich im restlos überlaufenen Supermarkt vor der Kasse die Beine in den Bauch stand, einen Einkaufswagen mit zwei Bechern saurer Sahne, einer Tube Tomatenmark und einer Dose Waldpilze vor sich herschiebend, Nora Mattek im überfüllten Metzgerladen um die Aufmerksamkeit der Verkäuferinnen rang, Sabrina die verschiedenen Bäcker nach den zwei letzten Weißbroten des Stadtviertels ablief und Thilo sich auf der Jagd nach Christbaumkerzen durch die Drogerie kämpfte. Als sie wieder zu Hause anlangten, stellten sie fest, dass Kelwitt inzwischen erledigt hatte, was er seit Tagen angekündigt hatte, nämlich sich zu entleeren. Was man sich darunter vorzustellen hatte, war nicht aus ihm herauszubringen gewesen, und auch jetzt war er nicht geneigt, sich darüber näher auszulassen. Es roch ein wenig ungewohnt in der unteren Toilette: Das war alles, was der geheimnisvolle körperliche Vorgang des Jombuuraners an Spuren hinterlassen hatte.
»Bescherung!«, sagte Hase, als sie vor dem Gasthof hielten.
Kaulquappe deutete mit dem Kinn zu dem Fenster hin, hinter dem großäugig das Gesicht des Brunnenwirts auftauchte. »Für ihn auf jeden Fall.«
Der Brunnenwirt begrüßte sie knapp und fragte als Erstes, ob sie das Geld hätten. Als Hase ihm das bestätigte, nickte er zufrieden und ließ seinen Blick über den Lastwagen und den Ladekran darauf schweifen. »Gut«, sagte er dann, wobei für einen Augenblick ein seltsamer Ausdruck über sein Gesicht huschte. Irgendwie spöttisch. Verächtlich. Als plane der Wirt eine ganz große Verlade. Hase fühlte, wie ihm der Schweiß ausbrach.
»Also gut«, sagte der Brunnenwirt noch mal. »Ich krieg’ mein Geld, dann zeig’ ich euch, wo das Ding liegt. Das war abgemacht, oder?« Er streckte die Hand aus.
Hase zögerte. Versuchte zu verhandeln. Aber der untersetzte Mann blieb stur wie ein Esel. Über Deals wie: »Die Hälfte jetzt, den Rest, wenn wir das Fluggerät haben« wollte er nicht einmal reden. Schließlich händigte der Agent ihm die Plastiktüte mit dem Geld aus und hoffte das Beste.
Der Brunnenwirt war bestens vorbereitet. Er zog eine Geldbombe aus einer Tasche seines voluminösen Wintermantels, zählte Schein für Schein vor ihren Augen hinein, dann gingen sie gemeinsam zur Bank auf der anderen Seite des Platzes, die bereits geschlossen hatte, und die beiden Agenten sahen zu, wie das Geld im Nachttresor verschwand. »Für alle Fälle«, kommentierte der Brunnenwirt.
Hase wurde das Gefühl nicht los, am kürzeren Hebel zu sitzen. Am entschieden kürzeren Hebel.
»Geh’n wir erst mal hin«, meinte der Mann am längeren Hebel und setzte sich in Bewegung. Die beiden Agenten folgten ihm mit skeptischen Gesichtern.
Sie marschierten durch das halbe Dorf bis zu einem am Rand einer Wiese gelegenen Garten, der einen traurig vernachlässigten Anblick bot. Verrosteter, teilweise niedergedrückter Maschendraht umzäunte eine Hand voll niedrig abgesägter Baumstämme und zwei Reihen verwelkter, von vereistem Gestrüpp umrankter Stangenbohnen. Hier hatte schon lange niemand mehr gepflanzt, geschweige denn geerntet. Ein paar Maschinen standen auf dem vergilbten
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