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Kelwitts Stern

Kelwitts Stern

Titel: Kelwitts Stern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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Gras, ein Pflug, eine Egge, eine Sämaschine, ein Traktor, der von einer grauen Plane verdeckt wurde. Dahinter senkte sich der Boden hin zu einer Abdeckung, die den Zugang zu einem tief eingegrabenen, bunkerartigen Gewölbekeller verschloss.
    Der Brunnenwirt deutete auf die schweren, sicherlich vor langer Zeit geschmiedeten Ringe an den beiden Klappen der Abdeckung. »Einfach hier dran ziehen«, sagte er. »Es ist nicht abgeschlossen.«
    Nachmittags legte sich die Betriebsamkeit des Vormittags, wandelte sich zu emsiger Geschäftigkeit. Vater Mattek holte den am Vortag gekauften Tannenbaum herein und befestigte ihn mit Hilfe seines Sohnes im Christbaumständer. Seine Tochter trug die Kartons mit dem Weihnachtsschmuck aus dem Keller hoch. Und seine Frau fuhrwerkte in der Küche herum, um die Gans in die Bratröhre zu bekommen, von wo aus sie in späteren Stunden nach und nach das ganze Haus mit einem köstlich verheißungsvollen Duft erfüllen sollte. Wie immer würde es Klöße und Rotkraut geben und dazu einen guten Wein, den Vater Mattek kurz vor der Bescherung aus den Beständen seines Weinkellers auswählen würde.
    Kelwitt schien an diesem Nachmittag überall im Weg zu stehen. Er konnte es nicht lassen, die Tannenzweige neugierig zu befummeln, und zuckte mit einem unhörbaren Aufschrei zurück (der allerdings die per Ultraschall fernsteuerbare Schließautomatik der Wohnzimmergardinen in Betrieb setzte), als er merkte, wie spitz die Nadeln waren. Er untersuchte die goldenen Christbaumkugeln, betrachtete sich darin und zerbrach natürlich prompt eine, die allerdings vom Vorjahr bereits einen Sprung gehabt hatte. Lametta faszinierte ihn maßlos. Einige der kleinen Engel drehte er so lange in seinen feuchten Fingern, bis die goldene Farbe der Flügel abging. Sabrina versuchte, ihm anhand der Krippenfiguren den Hintergrund des Weihnachtsfests zu erklären, und der Außerirdische nickte auch kräftig zu allem, was sie sagte; trotzdem wurde sie das Gefühl nicht los, dass er nicht einmal im Ansatz verstand, wovon sie redete.
    Später raschelte überall im Haus das Geschenkpapier. Die Spannung stieg, je dunkler es wurde. Die ersten Kerzen wurden angezündet, auf dem Esstisch, im Flur, auf dem Wohnzimmertisch. Die Gans schmurgelte im Ofen, und es roch im ganzen Haus nach Weihnachten.
    »Ist es nicht ein merkwürdiger Zufall, dass Heiligabend und der Abschied von Kelwitt zusammenfallen?«, fragte Wolfgang Mattek seine Frau.
    Nora Mattek sah versonnen in eine Kerzenflamme. »Vielleicht ist es kein Zufall«, meinte sie.
    »Wie meinst du das?«
    »Nur so.« Sie zuckte mit den Schultern. »Vielleicht gibt es überhaupt keine Zufälle.«
    Sie traten auf Rübenschnitzel und faulige Kartoffeln. Kaulquappe hatte daran gedacht, eine starke Taschenlampe mitzunehmen, und funzelte nun nervös damit durch die Dunkelheit.
    »Normal stell’ ich hier meine Maschinen rein«, erklärte der Brunnenwirt. »Aber jetzt war nicht mehr genug Platz, deshalb hab ich sie rausgetan.«
    Das Fluggerät sah hier in dem niedrigen, dunklen Gewölbekeller ganz anders aus, als Hase es in Erinnerung hatte.
    Der erste Eindruck war: klobig. Irgendeine Form war nur schwer zu erkennen. Es sah aus wie ein Kleinbus, der in die Hände eines wahnsinnigen Künstlers geraten war, eines Künstlers, der in seinem sonstigen Schaffen bevorzugt Öltanks zu Kunstwerken umschweißte oder Eisenbahnschienen zu Skulpturen wand. Klobig, unförmig, fremdartig.
    Fremdartig, genau. Das Ding hockte da auf dem festgetretenen Erdboden und sah markerschütternd fremdartig aus.
    »Unglaublich«, hauchte Kaulquappe.
    »Ja«, nickte Hase.
    »Wirklich«, bekräftigte Kaulquappe. »Ich hab’s bis vorhin nicht wirklich geglaubt.«
    Hase starrte das metallene Artefakt an. »Und ich fang’ gerade an, es nicht mehr zu glauben.«
    Kaulquappe sah sich um. »Wie kriegen wir das hier heraus?«
    »Da bin ich auch mal gespannt«, ließ sich der Brunnenwirt aus dem Hintergrund vernehmen. »Ich tät’ nämlich meine Maschinen gern wieder hier runterstellen.«
    Hase knurrte unwillig.
    »Raus kriegen wir es so, wie er es hereingekriegt hat. Bloß umgekehrt.«
    »Ha!«, machte der Brunnenwirt.
    Hase trat auf das fremde Gebilde zu. Da waren genug Haken, Vorsprünge, Ösen, an denen sich ein Zugseil befestigen ließ. Zuerst mussten sie es ins Freie ziehen. Beim Aufladen würde wahrscheinlich das halbe Dorf gaffen – na wenn schon. Er fasste nach einer vielversprechend aussehenden Traverse, um ihre

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