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Kelwitts Stern

Kelwitts Stern

Titel: Kelwitts Stern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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Fotoapparat, knipste noch einmal ein paar Bilder. »Ich werd’ sonst morgen nicht mehr glauben, dass das alles wirklich passiert ist«, sagte sie, als müsse sie sich entschuldigen.
    Kurz vor halb zehn. Gut, es würde eine Weile dauern, bis das Raumschiff die Erde erreicht hatte. Aber höchstens ein paar Stunden.
    Kelwitt griff in seinen Umhängebeutel und holte das Buch heraus, das er dabeigehabt hatte. Er reichte es Nora. »Das schenke ich euch«, erklärte er.
    Nora nahm es beeindruckt entgegen. »Danke.«
    »Brauchst du das denn nicht mehr?«, fragte Thilo. »Um das Orakel zu deuten?«
    »Ich kann ein anderes besorgen«, erklärte Kelwitt. Die Zeiger rückten vor. Halb zehn.
    Atem anhalten. Sie wechselten betretene Blicke, fingen schon an, den Moment des Abschieds, wenn er denn kommen musste, herbeizusehnen, weil dann der Schmerz endlich vorbei sein würde.
    »Und?«, fragte Mattek, als es auf zehn Uhr zuging.
    »Nichts«, sagte Kelwitt. »Tik hat noch keinen Kontakt.«
    Ein Auto bog in die Straße ein, ein alter, lauter Diesel, und hielt vor dem Nachbarhaus. Gelächter war zu hören, laute Begrüßungen, bis die Haustür ins Schloss fiel und wieder alles ruhig war.
    Es wurde halb elf, elf, Mitternacht. Und Kelwitts Mutterschiff meldete sich nicht.
    »Tik?«
    »Ich bin bereit.«
    »Wird das Schiff kommen?«
    »Diese Frage kann nicht mit Sicherheit beantwortet werden.«
    Kelwitt starrte in die Dunkelheit. Das Wasser in der Schlafmulde roch unangenehm. Als sie schließlich, spät in der Nacht, endlich doch alle schlafen gegangen waren, hatte niemand mehr daran gedacht, es zu wechseln.
    »Sind sie einfach weitergeflogen, weil ich nicht am vereinbarten Treffpunkt war?«
    »Nein. Das entspricht nicht der Praxis von Orakelfahrten. Das Schiff ist bis jetzt nicht in das Sonnensystem von Kelwitts Stern zurückgekehrt.«
    »Wieso nicht? Es war doch so ausgemacht?«
    »Ja. Allerdings war ein Zeitraum vereinbart, der noch nicht verstrichen ist. Selbst wenn das Schiff nach lokaler Zeitrechnung morgen um fünfzehn Uhr ankäme, wäre es immer noch im Flugplan.«
    »Das heißt, spätestens morgen kommt es?«
    »Nein. Es heißt nur, dass noch kein Grund zu Beunruhigung besteht.«
    »Und wenn es morgen um fünfzehn Uhr auch nicht kommt? Was ist dann?«
    »Dann ist der wahrscheinlichste Grund, dass der Flugplan aus irgendeinem Anlass geändert wurde. Das ist häufig erforderlich, insbesondere auf Schiffen, die Handelswaren befördern.«
    Er hatte diesmal allen versprechen müssen, nicht zu gehen, ohne sich zu verabschieden. Das schien ihnen sehr wichtig zu sein. Aber würde er überhaupt gehen? Die Schmerzen in seinen Schultern waren wieder da. Und die ungewohnte irdische Nahrung schien ihm auch nicht gut zu bekommen.
    »Kann es verunglückt sein?«
    »Grundsätzlich ja. Allerdings ist dies sehr unwahrscheinlich.«
    »Kann es sein, dass man mich vergessen hat?«
    »Das ist nicht auszuschließen, ist aber ebenfalls sehr unwahrscheinlich.«
    »Und wenn sie mich doch vergessen haben? Wenn sie nicht zurückgekehrt, sondern einfach ohne mich weitergeflogen sind?«
    »Spätestens bei der Rückkehr nach Jombuur würde der Irrtum bemerkt und ein Ersatzflug gestartet werden.«
    Kelwitt lauschte auf das Schlagen seiner Herzen. Ihm war, als würde sein Blut allmählich zähflüssiger werden. Sein ganzer Körper fühlte sich brüchig, morsch und ausgetrocknet an. »Bis dahin wäre ich längst tot.«
    »Das ist in der Tat sehr wahrscheinlich.«
    Es war so still, so elend still in der Höhle des Mattek-Schwarms. Er sehnte sich nach dem Ton des Meeres, dem Gesang der Brandung, dem Klang der Donnerbucht. Nur wieder zu Hause sein, dort, wo er hingehörte und von wo er nie hätte fortgehen sollen.
    »Tik?«
    »Ich bin immer noch bereit.«
    »Was soll ich denn jetzt tun?«
    »Verdunkle deine Augen und schlafe. Wenn das Schiff kommt, werde ich es dich sofort wissen lassen.«

17
    Als Wolfgang Mattek am Morgen des ersten Weihnachtstages erwachte, sah er seine Frau mit hellwachen, weit geöffneten Augen auf dem Rücken liegen und an die Decke starren. Gerade so, als mache sie das schon seit Stunden. »Was ist los?«, fragte er schlaftrunken.
    »Ich mache mir Sorgen«, sagte Nora. »Sorgen? Was für Sorgen?«
    »Um Kelwitt.«
    »Ach so.« Sein schläfriges Gehirn verstand die Zusammenhänge nicht wirklich.
    »Was ist, wenn er stirbt? Wenn er bei uns, in unserem Haus, stirbt?«
    »Ach komm … So schlimm wird es schon nicht werden.« Er wälzte sich

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