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Kelwitts Stern

Kelwitts Stern

Titel: Kelwitts Stern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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herum, an ihre Seite, legte den Arm um sie. Sie blieb stocksteif liegen. »Sie werden ihn holen.«
    »Und wenn nicht?«
    »Ich stelle Feuerwerksraketen her, keine intergalaktischen Raumschiffe. Wenn seine Leute ihn nicht retten, dann können wir ihm auch nicht helfen. Das ist bedauerlich, aber nicht zu ändern. Nicht mal, indem wir uns Sorgen machen.« Endlich schien sie seine Nähe wahrzunehmen, kuschelte sich mit dem Rücken an ihn und legte die Hand auf seinen Arm. »Weißt du«, meinte sie, »ich kann so gut nachfühlen, wie es ihm gehen muss. Er ist ganz allein auf dieser Welt, ein Fremder auf diesem Planeten, und alles, was er will, ist, nach Hause zurückzukehren – zu einem Zuhause, das so unvorstellbar weit entfernt liegt, dass es weh tut nachzudenken über den Abgrund, der ihn von dort trennt. Und er ist hier zwischen Wesen, die ganz anders sind als er, die anders aussehen, anders reden und hören, andere Sitten und Bräuche haben und die Feste feiern, deren Sinn er nicht versteht. Es gibt nichts zu essen für ihn, nicht wirklich jedenfalls, und wenn er nicht bei uns Unterschlupf gefunden hätte, säße er jetzt vielleicht in irgendeinem Laboratorium gefangen und würde untersucht wie eine neu entdeckte Tierart …«
    Mattek drückte sein Gesicht in ihre Haare. Er mochte, wie es morgens roch. »Manchmal habe ich das Gefühl, du bist auch so eine Fremde auf diesem Planeten.«
    Nora sagte nichts, sondern drückte nur seinen Arm. Ihren warmen, vertrauten Rücken zu spüren ließ ihn allmählich wieder wegduseln. Später war er sich nicht mehr sicher, ob er sie tatsächlich noch antworten gehört oder ihre Antwort nur geträumt hatte.
    »Ja«, hatte sie irgendwann gesagt. »Ich auch.«
    Das Frühstück am Morgen des ersten Weihnachtstages war ebenso Tradition wie das Essen an Heiligabend. Doch die Familie hatte sich gerade am Tisch versammelt, die ersten Toastbrote brutzelten noch im Toaster, und der Kaffee war noch nicht eingeschenkt, als sie hörten, wie Kelwitt oben die Tür des Gästezimmers öffnete und schloss und es gleich darauf einen dumpfen Schlag tat.
    Sabrina war die Erste, die aufsprang. Die anderen folgten, und Wolfgang Mattek dachte noch daran, den Toaster abzuschalten. Als sie oben ankamen, war es genau so, wie es sich angehört hatte: Kelwitt war bewusstlos zusammengebrochen und lag mit fahlweißen Augen auf dem Boden.
    »Was machen wir jetzt?« In Noras Augen flackerte Panik.
    Sabrina kniete neben ihm, fühlte an seinen Seiten. »Die Herzen schlagen noch«, erklärte sie mit dünn klingender Stimme.
    Man sah ihn auch noch atmen, wenn man genau hinsah. Nach und nach huschten wieder die ersten schwarzen Schlieren über seine großen Augen, und kurz darauf kam er wieder zu sich. »Mir geht es gar nicht gut«, klagte er.
    Nora war es, die dann die Idee hatte, ihm ein Salzbad zu verabreichen. So schleppten sie ihn ins Badezimmer, lösten in entsetzlich kaltem Wasser zwei komplette Haushaltspackungen Salz auf – die gesamten Vorräte –, setzten ihn hinein und übergossen ihn wieder und wieder damit. Und das schien ihm tatsächlich gut zu tun.
    Unterdessen schickte Nora Wolfgang in den Keller, den Liegestuhl zu holen, den er einmal von einem Lieferanten geschenkt bekommen und den so gut wie nie jemand benutzt hatte, weil er so unbequem und hart war, und darauf packten sie Kelwitt dann, in klatschnasse Badetücher gewickelt, auf eine Wachstischdecke mitten ins Wohnzimmer. »Wir müssen etwas unternehmen«, sagte Nora.
    Lothar Schiefer verbrachte die Weihnachtsfeiertage allein. Wieder einmal. Seine derzeitige Hauptfreundin war dummerweise verheiratet und Mutter zweier Kinder, mit denen sie über die Festtage heile Familie spielen wollte, was er zähneknirschend hatte akzeptieren müssen. Zwar gab es für derartige Notfälle eine Nebenfreundin, doch die war für zwei Wochen in die Dominikanische Republik geflogen, ohne ihn, womöglich mit einem anderen Mann, von dem er noch nichts wusste. Und der ihn, wenn er es recht überlegte, auch nichts anging.
    Na ja, und wenn schon. Wer brauchte denn das Weiberpack zum Glücklichsein? Das Fernsehprogramm bot, wie immer an Weihnachten, Unerträgliches, also hatte er sich einen Stapel Videos geholt und reingezogen, was auf seinem neuen riesigen I6:9-Apparat besser als Kino war. Besonders, wenn man dabei auf einem weichen Sofa aus schneeweißem Veloursleder lümmeln und nach und nach eine Flasche eines wunderbaren, sündhaft teuren alten schottischen Whiskys

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