Kennedy-Syndrom - Klausner, U: Kennedy-Syndrom
damit er und Calabrese unter sich waren. »Aber das ist man von diesem Zauderer ja nicht anders gewohnt.«
Selten um eine Antwort verlegen, blieb sein Protegé diesmal stumm, zwängte sich hinter das Steuer des schwarz lackierten Lincoln Continental und gab Gas. Erst viel später, als er den Wachposten passiert und auf die Pennsylvania Avenue eingebogen war, lockerte sich sein bis dahin unbeteiligter, ans Apathische grenzender Gesichtsausdruck auf, und die Mundwinkel von Luciano Calabrese begannen sich zu kräuseln. »Welch ein Narr!«, murmelte er gedämpft und machte gar nicht erst den Versuch, mit seiner Geringschätzung hinterm Berg zu halten. »Zu glauben, man könne einem Konflikt mit den Russen aus dem Weg gehen. Einfach lächerlich.«
»Wenn ich dran denke, welchen Schaden das Kennedy-Syndrom noch anrichten wird, wird mir ganz anders«, brach es aus Dulles hervor, den die Abgeklärtheit, mit der Calabrese auf die Abfuhr des Präsidenten reagiert hatte, zusätzlich in Wallung brachte. »Keine Ahnung, was wir noch anstellen sollen, um diesen irischen Appeaser auf Trab zu bringen.«
»Aber ich.«
»Ach, ja?«, mokierte sich Dulles in süffisantem Ton. »Darf man fragen, wie Sie sich das vorstellen, Chief Executive? Angenommen, der russische Bär hält sich an die Spielregeln und begnügt sich damit, innerhalb seines eigenen Reviers auf Beutezug zu gehen. Wie zum Teufel wollen Sie es dann fertigbringen, ihn als beutelüsterne Bestie abzustempeln? Eins dürfte Ihnen während der vergangenen halben Stunde doch wohl klar geworden sein, Luke. Um Kennedy vor unseren Karren zu spannen, müssen wir uns etwas einfallen lassen. Was wir brauchen, Luke, sind Beweise, Daten, Fakten – und keine wackeligen Hypothesen. So schnell es geht. Sonst wird Chruschtschow den Präsidenten um den Finger wickeln.« Dulles schnappte nach Luft, atmete geräuschvoll aus und stützte den Kopf auf die zusammengepresste Faust. »Haben Sie mitgekriegt, wie fertig dieser irische Schönfärber ist? Bevor der sich zum Losschlagen entschließt, muss schon viel passieren. Keinen Mumm in den Knochen, aber große Töne spucken. So haben wir’s gern. Ein paar Monate, und wir tanzen nach Chruschtschows Pfeife.«
»Es sei denn, der Präsident schwenkt auf unsere Linie ein.«
Dulles brach in höhnisches Gelächter aus. »Fragt sich nur, wie Sie ihn dazu bringen wollen.«
Calabrese drosselte das Tempo, umrundete den Washington Circle und bog in Richtung State Department ab. Danach, als Dulles mit keiner Antwort mehr rechnete, verzog er das Gesicht zu einem spöttischen Grinsen und sagte: »Das, mein lieber Dulles, überlassen Sie am besten mir. Keine Bange – wir beide werden ihn schon so weit kriegen.«
»Und wie?«
»Indem wir ein bisschen nachhelfen, Sir.«
Dulles runzelte die Stirn und blickte stur geradeaus. »Ich hoffe, Sie wissen, auf was Sie sich da einlassen, Chief Executive. Nämlich auf ein Spiel mit dem Feuer. Angenommen, einer unserer Agenten kriegt tatsächlich heraus, dass hinter Chruschtschows Imponiergehabe nichts steckt. Dass er nur blufft und darauf aus ist, sein eigenes – sprich Ostberliner – Revier zu verteidigen. Wie, Signore, würden Sie darauf reagieren?«
»Auf die Tatsache, dass jemand meine Pläne zu durchkreuzen versucht, meinen Sie? Ganz einfach – ich würde mich nicht davon abbringen lassen.«
»Auch dann, wenn es sich um einen unserer eigenen Agenten handelt?«
Calabrese gluckste amüsiert. »Gerade dann, mein lieber Dulles«, entgegnete er, wobei er Kennedys Stimme gekonnt imitierte, »gerade dann!« Und ergänzte süffisant: »Sollte es so weit kommen, würde der Betreffende den nächsten Tag nicht erleben. Und alle anderen, die so töricht sind, mir in die Quere zu kommen!«
DREI
»Ich verstehe Ihre Frage so, dass es in Westdeutschland Menschen gibt, die wünschen, dass wir die Bauarbeiter der Hauptstadt der DDR dazu mobilisieren, eine Mauer aufzurichten. Mir ist nicht bekannt, dass eine solche Absicht besteht. Die Bauarbeiter unserer Hauptstadt beschäftigen sich hauptsächlich mit Wohnungsbau, und ihre Arbeitskraft wird dafür voll eingesetzt. Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.«
SED-Generalsekretär Walter Ulbricht auf einer Pressekonferenz am 15. Juni 1961 in Ostberlin
›Inzwischen hatten westliche Nachrichtendienste von Informanten in der DDR Hinweise darauf erhalten, dass der entscheidende Moment früher als erwartet eintreten
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