Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kennedys Hirn

Kennedys Hirn

Titel: Kennedys Hirn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
Vom Netzwerk:
sich in den Keller einer Festplatte begeben und die Abdrücke von Texten hervorholen konnte, die eigentlich hätten gelöscht sein sollen?«
    Henrik beantwortete die Frage nicht.
    Sie drehte sich auf die Seite und betrachtete ein Bild an der Wand neben der Badezimmertür. Drei Tulpen in einer beigefarbenen Vase. Der Tisch dunkelbraun, das Tuch weiß. Ein schlechtes Bild, dachte sie. Es atmet nicht, die Blumen geben keinen Duft von sich.
    In eine der Mappen hatte Henrik eine aus einem Schreibheft herausgerissene, vollgeschriebene Seite gelegt, auf der er versuchte, Antworten auf die Frage zu geben, warum ein Hirn verschwinden konnte.
    »Angst vor einem Inhalt, daß es möglich sein könnte, die innersten Gedanken eines Toten freizulegen. Wie einen Geldschrank auszubohren oder Tagebücher aus den allerintimsten Archiven eines Menschen zu stehlen. Kann man tiefer in die private Welt eines Menschen eindringen, als wenn man seine Gedanken stiehlt?«
    Louise begriff nicht, wer Angst wovor hatte. Was glaubt Henrik, was der tote Präsident ihm erzählen kann? Eine seit langem abgeschlossene Geschichte? Wie sieht die Geschichte aus, nach der Henrik sucht?
    Es muß die falsche Spur sein, dachte sie. Sie setzte sich auf, suchte das Blatt, auf dem er seine Notizen gemacht hatte. Sie konnte sehen, daß er schnell geschrieben hatte. Der Text war unordentlich, mit vielen Streichungen und rudimentärer Zeichensetzung. Er schien außerdem ohne ordentliche Unterlage geschrieben zu haben, vielleicht auf einem Knie. Er hatte das Wort Trophäe notiert.
    »Ein Skalp kann die höchste Jagdtrophäe sein, wie ein Elchgeweih oder ein Löwenfell. Warum sollte dann ein Hirn keine Trophäe sein können? Wer ist also der Jäger?«
    Dann stand, mit einem Fragezeichen versehen, der Name Robert Kennedy da. Das dritte Motiv war die unbekannte Alternative.
    »Etwas, was man sich nicht einmal vorstellen kann. Solange das Hirn nicht aufgetaucht ist, muß diese unbekannte Alternative jedoch mitgedacht werden. Den unbekannten Faktor kann ich nicht ignorieren.«
    Der Morgen war noch dunkel, als sie aufstand und sich erneut ans Fenster stellte. Es regnete, die Lichter der Autos glitzerten. Sie mußte sich an die Wand lehnen, um nicht zu fallen. Wonach hatte er gesucht? Ihr wurde übel, sie hielt es nicht mehr aus im Zimmer.
    Kurz nach sieben hatte sie seine Papiere zusammengepackt und die Hotelrechnung bezahlt und saß mit einer Tasse Kaffee im Frühstücksraum.
    An einem Tisch neben ihr saßen ein Mann und eine Frau und lasen einen Dialog aus einem Stück. Der Mann war sehr alt. Er las mit kurzsichtigen Augen aus dem Rollenheft, und seine Hände zitterten. Die Frau trug einen roten Mantel und las mit eintöniger Stimme. Das Stück handelte von einem Aufbruch, die Szene spielte in einem Flur oder vielleicht in einem Treppenhaus. Aber ob er sie oder sie ihn verließ, konnte Louise nicht herausfinden. Sie trank ihren Kaffee und verließ das Hotel. Der Regen hatte aufgehört. Sie stieg den Hügel zu Henriks Wohnung hinauf. Die Müdigkeit machte sie leer, die Gefühle schmerzten. Ich werde nicht weiterdenken als bis zum nächsten Schritt. Ein Schritt zur Zeit, mehr nicht.
    Sie setzte sich an den Küchentisch und vermied es, die Brotkrümel zu sehen, die immer noch dort lagen. Erneut blätterte sie seinen Kalender durch. Der Buchstabe B kehrte häufig wieder. Sie stellte sich einen Namen vor, Birgitta, Barbara, Berit. Nirgendwo die Andeutung einer Erklärung. Warum dieses Interesse für Präsident Kennedy und sein Hirn? Er war von etwas besessen gewesen. Aber war das, was er suchte, wirklich - oder nur ein Symbol? Existierte das zerbrochene Gefäß im Reich der Sinne - oder war es nur eine Fata Morgana?
    Sie zwang sich, die Tür zu seinem Kleiderschrank zu öffnen und seine Taschen zu durchsuchen. Sie fand nur Kleingeld, hauptsächlich schwedisches, den einen oder anderen Euro. In einer Jackentasche lag ein schmutziger Bus- oder U-Bahnfahrschein. Sie nahm ihn mit in die Küche und hielt ihn unter die Tischlampe. Madrid. Henrik war also in Spanien gewesen. Davon hatte er nichts erzählt, daran könnte sie sich erinnern. Oft war alles, was er von seinen Reisen erzählt hatte, wo er gewesen war, doch nie, warum. Er nannte das Ziel der Reise, doch nicht den Grund.
    Sie kehrte zum Kleiderschrank zurück. In einer Hosentasche fand sie Reste einer vertrockneten Blume, die wie Pulver zwischen ihren Fingern zerbröselte. Sonst nichts.
    Sie machte sich an die Hemden. Da

Weitere Kostenlose Bücher