Kennedys Hirn
altes Paar führte seine schwarzen Hunde aus. Louise ging dicht am Wasser den Strand entlang.
Seit drei Tagen war sie jetzt mit Aron zusammen. Im Morgengrauen nach der ersten langen Nacht, als sie seine Hand ergriffen hatte, fragte er sie, ob sie eine Bleibe habe. Sein Haus hatte zwei Schlafzimmer, sie könne das eine davon benutzen, wenn sie wolle. Was waren ihre Pläne? Hatte die Trauer sie gebrochen? Sie antwortete nicht, nahm nur das Zimmer in Besitz, holte ihren Koffer und schlief bis weit in den Nachmittag hinein. Als sie aufwachte, war Aron fort. Er hatte eine Nachricht auf den Tisch gelegt, in seiner ungeduldigen und sperrigen Handschrift. Er war zu seiner Arbeit gegangen. »Ich pflege eine Anzahl von Bäumen in einem kleinen Regenwald. Es ist Essen da. Fühl dich wie zu Hause. Meine Trauer ist unerträglich.«
Sie bereitete sich eine einfache Mahlzeit, zog ihre wärmsten Sachen an und nahm den Teller mit hinaus an den Tisch. Bald saßen die Papageien um sie herum und warteten darauf, das Essen mit ihr zu teilen. Sie zählte die Vögel. Es waren zwölf. Ein Abendmahl, dachte sie. Das letzte vor der Kreuzigung. Ein Augenblick von Ruhe kam über sie, zum ersten Mal, seit sie über die Schwelle von Henriks Wohnung getreten war. Sie hatte außer Artur hoch jemanden, mit dem sie ihre Trauer teilen konnte. Aron konnte sie von all den Fragen und Ängsten erzählen, die sie bedrückten. Henriks Tod war kein natürlicher Tod. Niemand konnte das Schlafmittel wegerklären. Aber Henriks Tod mußte eine Ursache haben. Er hatte Selbstmord begangen, ohne es selbst zu tun.
Es gibt eine andere Wahrheit. In irgendeiner Weise hat sie mit Präsident Kennedy und seinem verschwundenen Hirn zu tun. Wenn einer mir helfen kann, diese Wahrheit zu finden, dann ist es Aron.
Als Aron zurückkehrte, war es schon dunkel. Er zog sich die Gummistiefel aus, betrachtete sie scheu und verschwand im Badezimmer.
Als er wieder herauskam, setzte er sich neben sie aufs Sofa. »Hast du meine Nachricht gefunden? Hast du gegessen?«
»Zusammen mit den Papageien. Wie sind sie so zutraulich geworden?«
»Sie haben keine Angst vor Menschen. Sie sind nie gejagt oder eingefangen worden. Ich habe mich daran gewöhnt, mein Brot mit ihnen zu teilen.«
»Du hast geschrieben, daß du Bäume pflegst? Ist das deine Arbeit? Lebst du davon?«
»Ich wollte es dir morgen zeigen. Ich pflege Bäume, ich angle, und ich halte mich fern. Das letzte ist meine aufwendigste Arbeit. Du hast mir eine der schlimmsten Niederlagen meines Lebens bereitet, indem du mich so einfach gefunden hast. Natürlich bin ich dankbar dafür, daß du mit der schrecklichen Nachricht gekommen bist. Vielleicht hätte ich mich gefragt, warum Henrik nicht mehr schreibt. Früher oder später hätte ich es erfahren. Vielleicht durch einen Zufall. Den Schock hätte ich nie ertragen. Jetzt warst du die Überbringerin der Nachricht.«
»Was ist mit deinen Computern? Du wolltest doch die Welt davor bewahren, alle Erinnerungen zu verlieren, die in unserer Zeit geschaffen werden. Du hast einmal gesagt, die Einsen und Nullen in den Computern der Welt seien Dämonen, die den Menschen seiner ganzen Geschichte berauben könnten.«
»Lange habe ich das geglaubt. Wir kamen uns vor, als retteten wir die Welt vor einer verheerenden Epidemie, die vom Virus der Leere verursacht wurde, dem großen Tod, den die leeren Papiere bedeuteten. Die leeren Archive, ausgehöhlt von einem unheilbaren Krebs, der unsere Zeit für die zukünftigen Generationen zu einem unlösbaren Rätsel machen würde. Wir glaubten tatsächlich, ein alternatives Archivierungssystem zu entwickeln, das unsere Zeit für die Nachwelt bewahren würde. Wir suchten nach einer Alternative zu den Einsen und Nullen. Genauer gesagt, wir versuchten, ein Elixier zu verabreichen, das garantiert dafür sorgte, daß die Computer sich eines Tages weigerten, ihren Inhalt preiszugeben. Wir schufen eine Formel, einen ungeschützten Quellenkode, den wir später an ein Konsortium in den USA verkauften. Wir bekamen eine unfaßbare Menge Geld dafür. Außerdem hatten wir einen Vertrag geschlossen, der garantiert, daß das Patent binnen fünfundzwanzig Jahren allen Ländern in der Welt lizenzfrei zugänglich gemacht wird. Eines Tages stand ich mit einem Scheck über fünf Millionen Dollar auf einer Straße in New York. Eine Million habe ich behalten und den Rest weggegeben. Verstehst du, was ich sage?«
»Nicht alles. Aber das Wichtigste.«
»Ich kann dir die
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