Kennedys Hirn
Details erklären.«
»Nicht jetzt. Hast du Henrik etwas gegeben?«
Aron fuhr herum und sah sie fragend an. »Warum hätte ich ihm Geld geben sollen?«
»Es wäre doch nicht völlig abwegig gewesen, seinem eigenen Sohn einen Zuschuß zu seinem Unterhalt zu geben.«
»Ich habe von meinen Eltern niemals Geld bekommen. Dafür bin ich ihnen noch heute dankbar. Nichts kann Kinder mehr verderben, als wenn man ihnen das gibt, was sie selbst verdienen sollten.«
»Wem hast du das Geld gegeben?«
»Es gibt so vieles, was man wählen kann. Ich habe alles einer Stiftung hier in Australien überlassen, die sich dafür einsetzt, die Würde der Ureinwohner zu bewahren. Ihr Leben und ihre Kultur, ein bißchen vereinfacht ausgedrückt. Ich hätte das Geld für die Krebsforschung spenden können, für die Verteidigung des Regenwalds, für den Kampf gegen die zunehmenden Heusch reckenschwärme im östlichen Afrika. Ich zog blind einen von all den tausend Zetteln, die ich in den Hut gelegt hatte. Heraus kam Australien. Ich gab das Geld weg und kam hierher. Niemand weiß, daß ich derjenige bin, von dem das Geld kommt. Das ist die größte Freude.«
Aron stand auf. »Ich muß ein paar Stunden schlafen. Die Müdigkeit macht mich unruhig.«
Sie blieb auf dem Sofa sitzen und hörte ihn kurz darauf schnarchen. Sein Schnarchen rollte wie Wellen durch ihr Bewußtsein. Daran erinnerte sie sich von früher.
Am Abend nahm er sie mit in ein Restaurant, das wie ein Adlerhorst oben auf einem Felsvorsprung lag. Sie waren fast allein im Restaurant, Aron schien die Bedienung zu kennen und verschwand mit ihr in der Küche.
Die Mahlzeit wurde für sie zu einer weiteren Erinnerung an die Zeit, als sie mit Aron zusammengelebt hatte. Gedünsteter Fisch und Wein. Es war immer ihre Festmahlzeit gewesen. Sie erinnerte sich an einen eigenartigen Zelturlaub, als sie Hechte gegessen hatten, die er aus dunklen Waldseen gezogen hatte. Aber sie hatten auch Dorsch und Merlan in Nordnorwegen und Seezunge in Frankreich gegessen.
Durch die Wahl des Gerichts sprach er zu ihr. Es war seine Art, sich ihr zu nähern, vorsichtig herauszufinden, ob sie das, was einmal war, vergessen hatte oder ob es für sie noch immer lebendig war.
Ein Hauch von Wehmut durchzog sie. Die Liebe konnte nicht wiederbelebt werden, ebensowenig wie sie ihren toten Sohn zurückbekommen konnten.
In dieser Nacht schliefen sie beide schwer. Einmal erwachte sie mit dem Gefühl, daß er ins Zimmer gekommen sei. Aber es war niemand da.
Am nächsten Tag stand sie früh auf, um ihn zu dem kleinen Regenwald zu begleiten, für den er die Verantwortung trug. Als sie das Haus verließen, war es noch nicht hell geworden. Die roten Papageien waren verschwunden.
»Du hast gelernt, morgens aufzustehen«, sagte sie.
»Heute ist es mir unbegreiflich, wie ich so viele Jahre leben und frühe Morgen verabscheuen konnte.«
Sie fuhren durch Apollo Bay. Der Wald lag in einem Tal, das zum Meer hin abfiel. Aron erzählte ihr, daß es die Reste eines uralten Regenwalds waren, der früher die gesamten südlichen Teile Australiens bedeckt hatte. Jetzt befand er sich im Besitz einer privaten Stiftung, die von einer der Personen finanziert wurde, die gleichzeitig mit Aron für den Verkauf der Rechte an dem ungeschützten Quellenkode Millionen von Dollars kassiert hatten.
Sie parkten auf einem mit Schotter bedeckten Platz. Die hohen Eukalyptusbäume standen wie eine Mauer vor ihnen. Ein Pfad schlängelte sich einen Abhang hinunter und verschwand.
Er ging voran.
»Ich pflege diesen Wald, achte darauf, daß kein Feuer ausbricht und daß er nicht verschmutzt wird. Es dauert eine halbe Stunde, durch den Wald zum Ausgangspunkt zurückzugehen. Ich beobachte die Menschen, die diese Wanderung machen. Viele sehen nachher genauso aus wie vorher, andere haben sich verändert. Im Regenwald findet sich vieles, was direkt unsere Seele anspricht.«
Der Pfad führte steil abwärts. Aron blieb hier und da stehen, zeigte und erklärte. Die Bäume, ihre Namen, ihr Alter, die kleinen Bäche tief unter ihnen, in denen das gleiche Wasser floß wie schon vor Millionen von Jahren. Louise hatte den Eindruck, daß er eigentlich sein eigenes Leben zeigte und wie er sich verändert hatte.
Auf dem Talboden, in der Tiefe des Regenwaldes, stand eine Bank. Aron wischte sie mit seinem Jackenärmel ab. Überall troff es vor Nässe. Sie setzten sich. Der Wald war still, feucht, kalt. Louise fühlte, daß sie den Wald liebte, auf die gleiche
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