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Kennedys Hirn

Kennedys Hirn

Titel: Kennedys Hirn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Weise, wie sie die endlosen Wälder im weit entfernten Härje-dalen liebte.
    »Ich bin hergekommen, um fortzukommen«, sagte Aron.
    »Du, der nie ohne Menschen um dich herum leben konnte. Du konntest plötzlich nicht mehr allein sein?«
    »Etwas war passiert.« »Was?«
    »Du würdest mir nicht glauben.«
    Flügelschlagen zwischen den Bäumen und den verschlungenen Kletterpflanzen und Lianen. Ein Vogel schwang sich aufwärts, dem fernen Sonnenlicht entgegen.
    »Ich habe etwas verloren, als ich erkannte, daß ich nicht mehr mit euch leben konnte. Ich habe dich und Henrik verraten. Aber genauso habe ich mich selbst verraten.« »Das erklärt nichts.«
    »Es gibt nichts zu erklären. Ich bin mir selbst unbegreiflich. Das ist die einzige absolute Wahrheit.«
    »Das sind doch Ausflüchte. Kannst du nicht einmal genau sagen, was los ist? Was los war?«
    »Ich kann es nicht erklären. Etwas zerbrach. Ich mußte weg. Ich habe ein Jahr lang gesoffen, bin ziellos umhergetrieben, habe Brücken hinter mir abgebrochen und mein Geld verbraucht. Dann landete ich in der Gesellschaft dieser Verrückten, die sich vorgenommen hatten, die Erinnerung der Welt zu retten. So nannten wir uns, >Die Beschützer der Erin-nerung< Ich habe versucht, mich zu Tode zu saufen, mich zu Tode zu arbeiten, mich zu Tode zu faulenzen, mich zu Tode zu angeln und rote Papageien zu füttern, bis ich endlich krepierte. Aber ich lebe weiter.«
    »Ich brauche deine Hilfe, um zu verstehen, was eigentlich passiert ist. Henriks Tod ist auch mein Tod. Ich kann nicht wieder zum Leben zurückfinden, ohne verstanden zu haben, was geschehen ist. Was hat er in der Zeit vor seinem Tod getan? Wohin ist er gereist? Welche Menschen hat er getroffen ? Was ist passiert? Hat er mit dir gesprochen?«
    »Vor drei Monaten hat er plötzlich aufgehört zu schreiben. Vorher bekam ich meist einen Brief pro Woche.« »Hast du die Briefe noch?«
    »Ich habe alle seine Briefe aufbewahrt.«
    Louise stand auf. »Ich brauche deine Hilfe. Ich möchte, daß du eine Anzahl von CDs durchsiehst, die ich mitgebracht habe. Es sind Kopien der Dateien von Henriks Computer, den ich nicht gefunden habe. Ich möchte, daß du das tust, was du wirklich kannst, dich eingraben zwischen die Einsen und Nullen und zutage fördern, was sich darin verbirgt.«
    Sie gingen weiter auf dem Pfad, der steil wieder anstieg, bis sie zum Ausgangspunkt zurückkamen. Ein Bus mit Schulkindern war gerade angekommen, Kinder in farbenfrohen Regenjacken quollen heraus.
    »Die Kinder machen mir Freude«, sagte Aron. »Kinder lieben hohe Bäume, geheimnisvolle Schluchten, Bäche, die man nur hören, aber nicht sehen kann.«
    Sie setzten sich in den Wagen. Arons Hand lag am Zündschlüssel.
    »Was ich von den Kindern gesagt habe, gilt auch für erwachsene Männer. Auch ich kann einen Bach lieben, den man nur hört, aber nicht sieht.«
    Auf dem Weg zurück zum Haus mit den Papageien hielt Aron an einem Laden und kaufte Lebensmittel ein. Louise ging mit hinein. Er schien alle zu kennen, was sie erstaunte. Wie vertrug sich das mit seinem Vorsatz, unsichtbar und unbekannt zu sein? Als sie die steile Straße zwischen den Hügeln hinauffuhren, fragte sie ihn danach.
    »Sie wissen nicht, wie ich heiße oder wo ich wohne. Es ist ein Unterschied, ob jemand einem bekannt ist oder ob man ihn wirklich kennt. Es beruhigt sie, daß mein Gesicht ihnen nicht fremd ist. Ich bin hier zu Hause. Mehr wollen sie eigentlich nicht wissen. Es genügt, daß ich regelmäßig erscheine, keinen Ärger mache und ordnungsgemäß bezahle.«
    Am gleichen Tag kochte er für sie beide, wieder Fisch. Während sie aßen, dachte sie, daß er irgendwie erleichtert wirkte.
    Als wäre eine Schwere fort, nicht die Trauer, sondern etwas, was mit mir zu tun hat.
    Nach dem Essen bat er sie, noch einmal von der Beerdigung und von dem Mädchen namens Nazrin zu erzählen.
    »Hat er nie etwas von ihr geschrieben?«
    »Nie. Wenn er von Mädchen sprach, waren sie immer namenlos. Er konnte ihnen Gesichter und Körper geben, aber keine Namen. Er war in vielerlei Hinsicht merkwürdig.«
    »Er glich dir. Als er klein war und in seinen Teenagerjahren dachte ich immer, daß er wie ich wäre. Jetzt weiß ich, daß er dir glich. Ich glaubte, wenn er lange genug lebte, würde er den Kreis schließen und zu mir zurückkehren.«
    Sie brach in Tränen aus. Er stand auf, ging nach draußen und streute Vogelfutter auf den Tisch.
    Später am Nachmittag legte er zwei Bündel mit Briefen vor

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