Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kennedys Hirn

Kennedys Hirn

Titel: Kennedys Hirn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
Vom Netzwerk:
zurück, aber ihr Vater hatte eine künstlerische Begabung, die dem DelphinMaler fehlte.
    »Finden Sie etwas, was Ihnen gefällt?«
    »Die Delphine.«
    »Ich bin ein schlechter Maler, ohne Talent. Glauben Sie nicht, ich wüßte es nicht. Aber niemand kann mich dazu zwingen, mit dem Malen aufzuhören. Ich kann weiter mein Unkraut züchten.«
    Der Regen trommelte aufs Blechdach. Sie saßen schweigend da. Nach einer Weile ließ der Regen nach, man konnte sich wieder unterhalten.
    »Der Mann, der mich hergefahren hat, sagte, Sie seien möglicherweise aus dem Kongo gekommen?«
    »Ricardo? Der redet immer viel. Aber in dem Punkt hat er recht. Ich bin aus dem Land geflohen, bevor das große Chaos ausbrach. Als der schwedische Mann, der Hammarskjöld hieß, bei Ndola im nördlichen Sambia abstürzte, damals hieß es Nord-Rhodesien, war ich schon hier. Es war ein furchtbares Chaos, die Belgier waren brutale Kolonisatoren, die seit Jahrhunderten unsere Hände abgeschlagen hatten, aber als wir plötzlich selbständig werden sollten, war der Konflikt, der danach ausbrach, genauso entsetzlich.«
    »Warum sind Sie geflohen?«
    »Es ging nicht anders. Ich war zwanzig Jahre alt. Es war zu früh, um zu sterben.«
    »Und trotzdem waren Sie in der Politik tätig? So jung?«
    Er betrachtete sie prüfend. Der Regen dämpfte das Licht, der Raum lag im Halbschatten. Sie ahnte seine Augen mehr, als daß sie sie sah.
    »Wer hat gesagt, ich sei in der Politik tätig gewesen? Ich war ein einfacher junger Mann ohne Ausbildung, der Schimpansen fing und sie an ein belgisches Laboratorium verkaufte. Es lag am Rand der Stadt, die damals Leopoldville hieß und jetzt umgetauft worden ist in Kinshasa. Das große Gebäude hatte etwas Geheimnisvolles an sich. Es lag für sich allein, von einem hohen Zaun umgeben. Dort arbeiteten Männer und Frauen in weißen Kitteln. Manchmal trugen sie auch Gesichtsmasken. Und sie wollten Schimpansen haben. Sie zahlten gut. Mein Vater hatte mich gelehrt, wie man Affen lebend fängt. Die weißen Männer fanden, daß ich tüchtig war. Eines Tages boten sie mir an, in dem großen Haus zu arbeiten. Man fragte mich, ob ich Angst hätte, Tiere zu zerstückeln, in Fleisch zu schneiden, Blut zu sehen. Ich war Tierfänger und Jäger, ich konnte Tiere töten, ohne mit der Wimper zu zucken, und ich bekam die Arbeit. Ich werde nie vergessen, was für ein Gefühl es war, als ich zum ersten Mal einen weißen Kittel anzog. Es war, als kleidete ich mich in einen königlichen Mantel oder in die Leopardenhaut, die afrikanische Herrscher häufig tragen. Der weiße Kittel bedeutete, daß ich den Schritt in eine magische Welt von Macht und Wissen tat. Ich war jung, ich erkannte nicht, daß der weiße Kittel bald blutig werden sollte.«
    Er hielt inne und beugte sich auf seinem Stuhl vor.
    »Ich bin ein alter Mann, der viel zuviel redet. Ich habe seit mehreren Tagen keine Gesellschaft gehabt. Meine Frauen, die in ihren eigenen Häusern wohnen, kommen und bereiten mir das Essen, aber wir sprechen nicht miteinander, weil wir nichts mehr zu sagen haben. Dieses Schweigen macht mich hungrig. Wenn ich Sie ermüde, sagen Sie es nur.«
    »Sie ermüden mich nicht. Erzählen Sie weiter.«
    »Davon, wie der Kittel blutig wurde? Es gab dort einen Arzt, er hieß Levansky. Er führte mich in einen Raum, in dem alle Schimpansen, die ich und andere gefangen hatten, in Käfigen eingeschlossen waren. Er zeigte mir, wie ich die Tiere zerteilen und die Leber und die Nieren herausnehmen sollte. Der Rest des Kadavers wurde fortgeworfen, er hatte keinen Wert. Er brachte mir bei, in einem Buch aufzuschreiben, was ich tat und wann ich es tat. Dann gab er mir einen Schimpansen, ich erinnere mich noch heute daran, daß es ein Junges war, das fürchterlich nach seiner Mutter schrie. Ich höre dieses Schreien noch immer. Doktor Levansky war zufrieden. Aber ich mochte es nicht, ich verstand nicht, warum es genau so gemacht werden sollte. Ich kann wohl sagen, daß ich es überhaupt nicht mochte, wie mein weißer Kittel blutig wurde.«
    »Ich glaube, ich verstehe nicht richtig, was Sie meinen.«
    »Ist das so schwer zu verstehen? Mein Vater hatte mich gelehrt, daß man Tiere tötet, um zu essen, um das Fell zu verwerten oder um sich selbst, seine Tiere oder seine Ernte zu schützen. Aber man tötet nicht, um zu quälen. Dann würden die Götter einen zu Boden schlagen. Sie würden ihre unsichtbaren Straftiere aussenden, die mich suchen und alles Fleisch von meinen Knochen

Weitere Kostenlose Bücher