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Kennedys Hirn

Kennedys Hirn

Titel: Kennedys Hirn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Baums. Im Schwimmbassin schwamm jemand Bahn um Bahn, mit langsamen Zügen. Ein zottiger Hund legte sich ihr zu Füßen.
    Ein afrikanischer Elchhund. Genauso zottig wie die Hunde, mit denen ich als Kind gespielt hohe. Jetzt habe ich einen Vater, der genauso zottig ist wie du.
    Der Mann, der im Bassin geschwommen war, kletterte die Badeleiter hoch. Louise sah, daß ein Bein des Mannes am Knie amputiert war. Er hüpfte zu einem Liegestuhl, auf dem eine Prothese lag. Ein barfüßiger Kellner fragte sie, ob sie noch Kaffee nachgeschenkt haben wolle.
    Er nickte zu dem Mann hinüber, der gerade aus dem Schwimmbecken gestiegen war. »Er schwimmt jeden Tag, das ganze Jahr. Auch wenn es kalt ist.«
    »Kann es denn hierzulande kalt werden?«
    Der Kellner machte ein bekümmertes Gesicht. »Im Juli haben wir nachts manchmal fünf Grad. Dann frieren wir.«
    »Fünf Grad minus?«
    Sie bereute ihre Frage sofort, als sie den Gesichtsausdruck des Kellners sah.
    Er füllte ihre Tasse auf und wischte ein paar Brotkrumen vom Tisch, die der Hund sofort aufleckte. Der Mann bei dem Liegestuhl hatte jetzt seine Prothese angeschnallt.
    »Oberst Ricardo ist ein bemerkenswerter Mann. Er ist unser Chauffeur. Er hat an vielen Kriegen teilgenommen, sagt er. Aber niemand weiß etwas Genaues. Manche sagen, er sei einmal betrunken gewesen und auf den Eisenbahnschienen gegangen, und dabei habe er sein Bein verloren. Aber man kann nie ganz sicher sein. Oberst Ricardo ist anders als andere.«
    »Ich habe gehört, daß er seinen Jeep schön sauberhält.«
    Der Kellner beugte sich vertraulich zu ihr vor. »Oberst Ricardo legt Wert darauf, sich selbst schön sauberzuhalten. Aber er bekommt häufig Klagen zu hören, daß sein Jeep so schmutzig ist.«
    Louise unterschrieb die Rechnung und sah den Oberst zum Hotelausgang hin verschwinden. Jetzt, da er angezogen war, fiel die Prothese überhaupt nicht auf.
    Oberst Ricardo holte sie vor dem Hotel ab. Er war ein Mann in den Siebzigern, durchtrainiert und sonnengebräunt und mit sorgfältig gekämmtem grauem Haar. Ein Europäer mit vielen Tropfen Negerblut, dachte Louise. In seinem Familienhintergrund verbarg sich wahrscheinlich eine faszinierende Geschichte. Der Oberst sprach Englisch mit britischem Akzent.
    »Ich habe gehört, daß Sie unseren berühmten Raffael besuchen wollen, Mrs. Cantor. Das wird er zu schätzen wissen. Er hat eine Vorliebe für weibliche Besucher.«
    Sie setzte sich auf den Beifahrersitz des Jeeps. Der Oberst bediente mit dem Fuß des künstlichen Beins das Gaspedal. Sie fuhren auf einem Feldweg, der sich durch das meterhohe Gras schlängelte, in den Süden der Insel. Der Oberst fuhr ruckhaft und machte sich selten die Mühe zu bremsen, wenn der Weg sich in reinen Morast verwandelte. Louise hielt sich mit beiden Händen fest, um nicht hinausgeschleudert zu werden. Die verschiedenen Anzeigen standen entweder auf null, oder sie vibrierten im Bereich unfaßbarer Geschwindigkeiten und Temperaturen. Es war, als wäre sie zu Kriegszeiten in einem Armeefahrzeug unterwegs.
    Nach einer halben Stunde bremste der Oberst. Sie waren in ein bewaldetes Gebiet der Insel gekommen. Zwischen den Bäumen waren niedrige Hütten zu sehen.
    Oberst Ricardo streckte die Hand aus. »Dort drüben wohnt der Hebe Raffael. Wie lange wollen Sie bleiben? Wann soll ich Sie wieder abholen?«
    »Sie warten also nicht?«
    »Ich bin zu alt, um mir Zeit zum Warten zu nehmen. Ich komme in zwei Stunden zurück und hole Sie ab.«
    Louise sah sich um, entdeckte aber keine Menschen. »Sind Sie sicher, daß er hier ist?«
    »Unser lieber Raffael ist Ende der fünfziger Jahre nach In-haca gekommen. Aus dem damaligen Belgisch-Kongo. Seitdem hat er die Insel niemals und sein Haus kaum je verlassen.«
    Louise kletterte aus dem Jeep. Oberst Ricardo hob seine Mütze an und verschwand in einer Staubwolke. Das Motorgeräusch verklang. Louise war von einer sonderbaren Stille umgeben. Keine Vögel, keine quakenden Frösche, auch kein Wind. Sie hatte die vage Empfindung, dies schon zu kennen. Dann wurde ihr klar, daß es war, als befände sie sich tief in einem Wald im schwedischen Norrland, wo Entfernungen und Geräusche aufhören können zu existieren.
    »Sich in einem tiefgreifenden Schweigen zu befinden heißt, eine große Einsamkeit zu erleben.« Das waren Arons Worte während einer Wanderung im norwegischen Fjell. Früher Herbst, rostbraune Farben, sie hatte angefangen zu vermuten, daß sie schwanger war. Sie wanderten im Fjell bei

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