Kennedys Hirn
nagen würden. Ich verstand nicht, warum ich gezwungen wurde, den Affen, während sie noch lebten, die Leber und die Nieren herauszuschneiden. Sie rissen und zerrten an den Riemen, mit denen sie am Tisch festgeschnallt waren, sie schrien wie Menschen. Ich lernte, daß Tiere und Menschen, wenn sie gequält werden, auf die gleiche Art und Weise schreien.«
»Warum war es notwendig?«
»Um das spezielle Präparat für dieses Laboratorium herstellen zu können, war es erforderlich, daß die Körperteile, die genutzt wurden, von lebenden Tieren stammten. Ich würde meine Arbeit verlieren, wenn ich außerhalb des Laboratoriums davon erzählte. Doktor Levansky erklärte mir, daß Menschen in weißen Kitteln ihre Geheimnisse immer für sich behalten. Es war, als wäre ich in einer Falle gefangen, als wäre ich einer der Schimpansen und das ganze Laboratorium mein Käfig. Doch das entdeckte und verstand ich erst später.«
Der Regen trommelte für einen Augenblick stärker aufs Dach. Es war windig geworden. Sie warteten, bis der Regen wieder abnahm.
»Eine Falle?«
»Eine Falle. Sie schnappte nicht um meinen Fuß oder meine Hand zu. Sie wurde mir lautlos um den Hals gelegt. Anfangs merkte ich nichts. Ich gewöhnte mich daran, meine schreienden Schimpansen zu töten, ich entnahm die Organe, warf sie in Eimer mit Eis und trug sie zum eigentlichen Laboratorium, das ich nie betreten durfte. An gewissen Tagen sollten keine Affen getötet werden. Dann mußte ich dafür sorgen, daß es ihnen gutging, daß keiner von ihnen krank war. Es war, wie zwischen Gefangenen umherzugehen, die zum Tode verurteilt waren, und sich nichts anmerken zu lassen. Aber die Tage wurden lang. Ich fing an, mich umzusehen, obwohl ich eigentlich keine Erlaubnis hatte, mich anderswo aufzuhalten als bei den Affenkäfigen. Nach ein paar Monaten ging ich eines Tages ins Untergeschoß.«
Adelinho verstummte. Das Trommeln aufs Blechdach hatte fast aufgehört.
»Und was fanden Sie da?«
»Andere Schimpansen. Aber mit einem Unterschied von mindestens drei Prozent in der Erbmasse. Damals wußte ich nicht, was das war, Erbmasse. Aber jetzt weiß ich es. Ich habe es gelernt.«
»Ich verstehe nicht. Andere Affen?«
»Ohne Käfige. Auf Bahren.«
»Tote Affen?«
»Menschen. Aber keine toten. Noch nicht tote. Ich kam in einen Raum, in dem sie dicht gepackt lagen. Kinder, Alte, Frauen, Männer. Alle waren krank. Es war ein fürchterlicher Gestank im Raum. Ich floh. Aber ich konnte es nicht lassen, später wieder zurückzugehen. Warum lagen sie da? Und da wurde mir klar, daß ich in die schlimmste Falle geraten war, in die ein Mensch geraten kann. Eine Falle, in der man nicht sehen darf, was man sieht, nicht reagieren darf auf das, was man tut. Ich kehrte zurück und versuchte zu verstehen, warum kranke Menschen in einem Kellerraum verborgen waren. Als ich mich näherte, hörte ich furchtbare Schreie. Sie kamen aus einem Raum unmittelbar nebenan. Ich wußte nicht, was ich tun sollte. Was ging da vor sich ? In meinem ganzen Leben hatte ich noch keine solchen Schreie gehört. Plötzlich war es still. Irgendwo ging eine Tür. Ich versteckte mich unter einem
Tisch. Ich sah weiße Beine und weiße Kittel vorübergehen. Hinterher suchte ich in dem Raum, aus dem ich die Schreie gehört hatte. Auf einem Tisch lag ein toter Mensch. Eine Frau, vielleicht war sie zwanzig Jahre alt. Sie war auf die gleiche Art und Weise aufgeschnitten, wie ich meine Affen aufschnitt. Ich begriff sofort, daß auch ihr bei lebendigem Leib die Leber und die Nieren entfernt worden waren. Ich stürzte davon, ich blieb dem Laboratorium eine Woche fern. Eines Tages kam ein Mann mit einem Brief von Doktor Levansky, der mir drohte, falls ich nicht zurückkäme. Ich wagte nicht, etwas anderes zu tun, als zurückzukehren. Doktor Levansky war nicht ärgerlich, er war freundlich, das verwirrte mich. Er fragte mich, warum ich fortgeblieben sei, und ich antwortete wahrheitsgemäß, daß ich die Kranken und die Frau gesehen hätte, die bei lebendigem Leib aufgeschnitten worden war. Doktor Levansky erklärte, sie sei betäubt gewesen und habe keinen Schmerz gespürt. Aber ich hatte sie gehört. Er log mir glatt ins Gesicht, seine Freundlichkeit war nicht echt. Er erzählte, daß sie mit Hilfe der Kranken neue Medikamente fänden, alles, was im Laboratorium geschehe, müsse geheim bleiben, weil viele um die geheimen Präparate kämpften. Als ich ihn fragte, was es für Krankheiten seien, die sie heilen
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