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Kennedys Hirn

Kennedys Hirn

Titel: Kennedys Hirn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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wollten und an denen die Kranken litten, sagte er, daß alle die gleiche Art Krankheit hätten, ein Fieber, das von einer Entzündung im Bauch ausging. Da wußte ich, daß er schon wieder log. Soviel ich beobachtet hatte, als ich in dem Raum mit den Bahren war, hatten alle dort verschiedene Krankheiten. Ich glaube, sie wurden vorsätzlich infiziert und vergiftet, man machte sie krank, um dann zu versuchen, sie zu heilen. Ich glaube, daß man sie wie die Schimpansen benutzte.«
    »Was geschah danach mit Ihnen?«
    »Nichts. Doktor Levansky war weiter freundlich. Doch ich war mir bewußt, daß man mich ständig beobachtete. Ich hatte etwas gesehen, was ich nicht sehen durfte. Dann gingen Gerüchte um, daß in der Umgebung von Leopoldville Menschen geraubt wurden und im Laboratorium verschwanden. Das war 1957, als niemand eigentlich wußte, was mit dem Land geschehen würde. Ohne es geplant zu haben, erwachte ich eines Morgens und beschloß wegzugehen. Ich war mir sicher, daß ich eines Tages selbst dort unten im Keller landen würde, um mit Lederriemen an einem Tisch festgeschnallt und bei lebendigem Leib aufgeschnitten zu werden. Ich konnte nicht bleiben. Ich verließ das Land. Zunächst kam ich nach Südafrika und anschließend hierher. Aber ich weiß jetzt, daß ich recht hatte. Das Laboratorium hat sowohl Schimpansen als auch lebende Menschen für seine Versuche verwendet. Es besteht ein Unterschied von nur drei Prozent in der Erbmasse von Schimpansen und Menschen. Aber schon damals, in den fünfziger Jahren, wollte man einen Schritt weiter gehen, genauer gesagt, drei Schritte weiter, die letzten Schritte. Man versuchte, den Unterschied aufzuheben.«
    Adelinho verstummte. Windböen rüttelten am Blechdach. Aus der feuchten Erde stieg ein Geruch von Fäulnis auf.
    »Ich kam hierher. Viele Jahre lang habe ich hier in der kleinen Krankenstation gearbeitet. Ich habe heute meinen Acker, meine Frauen, meine Kinder. Und ich male. Aber ich halte mich auf dem laufenden über das, was geschieht; mein Freund, der kubanische Doktor Raul, hebt all seine medizinischen Zeitschriften für mich auf. Ich lese sie, und ich entdecke, daß man auch heute Menschen als Versuchstiere benutzt. Es soll auch in diesem Land geschehen. Viele würden es natürlich abstreiten. Aber ich weiß, was ich weiß. Auch wenn ich ein einfacher Mann bin, habe ich mir Bildung angeeignet.«
    Die Regenwolken waren abgezogen, das Sonnenlicht war wieder stärker. Louise sah ihn an. Sie schauderte.
    »Frieren Sie?«
    »Ich denke an das, was Sie erzählt haben.«
    »Arzneimittel sind Rohstoffe, die genausoviel wert sein können wie seltene Metalle oder Edelsteine. Deshalb gibt es keine Grenzen für das, was Menschen aus Habgier zu tun bereit sind.«
    »Ich möchte wissen, was Sie gehört haben.«
    »Ich weiß nicht mehr als das, was ich gesagt habe. Es gehen Gerüchte um.«
    Er vertraut mir nicht. Er fürchtet sich immer noch vor der Falle, die um ihn zuzuschnappen drohte, damals in den fünfziger Jahren, als er noch jung war.
    Adelinho stand auf. Er verzog das Gesicht, als er die Beine streckte. »Das Alter kommt mit Schmerzen. Das Blut zögert in den Adern, die nächtlichen Träume werden plötzlich schwarzweiß. Wollen Sie noch andere Bilder sehen? Ich male auch die Menschen, die mich besuchen, wie Gruppenfotos, die man früher machte. Vermute ich richtig, daß Sie Lehrerin sind?«
    »Ich bin Archäologin.«
    »Finden Sie, was Sie suchen?«
    »Manchmal. Manchmal finde ich etwas, ohne zu wissen, daß ich es gesucht habe.«
    Sie nahm ein paar der Bilder mit an die Verandatür und studierte sie im Sonnenlicht.
    Sie entdeckte ihn sofort. Sein Gesicht, in der hinteren Reihe. Es war ihm nicht besonders ähnlich, aber es bestand kein Zweifel. Es war Henrik. Er war hier gewesen und hatte zugehört, als Adelinho erzählte. Sie betrachtete das Bild genauer. Gab es andere Gesichter darauf, die sie erkannte? Junge Gesichter, europäische, einige asiatische. Junge Männer, aber auch viele junge Frauen.
    Sie stellte das Bild zurück auf den Boden und versuchte, sich zu fassen.
    Die Entdeckung von Henriks Gesicht war ein Schock. »Mein Sohn Henrik ist hier gewesen. Erinnern Sie sich an ihn?«
    Sie hielt das Bild hoch und zeigte auf Henrik.
    Er blinzelte und nickte. »Ich erinnere mich an ihn. Ein freundlicher junger Mann. Wie geht es ihm?«
    »Er ist tot.«
    Sie faßte einen Entschluß. Hier, auf Inhaca, im Haus dieses fremden Mannes, konnte sie sich erlauben, offen zu

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