Keraban Der Starrkopf
Eisenbahn nach Adrianopel, welche diese zweite Hauptstadt der europäischen Türkei mit der Metropole des osmanischen Reiches verbindet.
Gerade als der Wagen einmal dicht neben dem Bahnkörper hinrollte, brauste ein Personenzug vorüber. Am Fenster eines der Waggons erschien der Kopf eines Passagiers, der die von muthigem Gespann rasch dahingezogene Equipage des Seigneur Keraban wahrnehmen konnte.
Dieser Passagier war niemand Anderes als der maltesische Capitän Yarhud auf dem Wege nach Odessa, wo er, Dank der Schnelligkeit des Dampfwagens, weit eher eintreffen mußte, als der Onkel des jungen Ahmet.
Van Mitten konnte sich nicht enthalten, seinem Freunde den unter vollem Dampfdrucke dahinfliegenden Zug zu zeigen.
Dieser zuckte, wie er immer zu thun pflegte, dazu nur die Achseln.
»Sehen Sie, Freund Keraban, damit kommt man schnell an’s Ziel, sagte Van Mitten.
– Nun ja, wenn man überhaupt ankommt!« antwortete Seigneur Keraban.
Während dieses ersten Reisetages ging keine einzige Stunde verloren. Die Mithilfe reichlicher Geldmittel beseitigte stets alle Schwierigkeiten an den Stationen mit Pferdewechsel, und die Pferde ließen sich scheinbar ebensowenig bitten, unter’s Zaumzeug zu gehen, wie die Postillone, einen großen Herrn zu fahren, der so freigebig bezahlte.
Die Reise ging über Tchataldje und Buyuk-Khan, auf der Grenze der Wasserscheide der nach dem Marmarameer abfließenden Gewässer, ferner durch das Thal von Tchorlu, durch das Dorf Yeni-Keni und von da durch das Thal von Galata, quer durch welches – wenn die Ueberlieferungen Glauben verdienen – unterirdische Canäle verliefen, welche der Hauptstadt in früheren Zeiten das nöthige Quellwasser zuführten.
Als der Abend hereinbrach, hielt der Wagen nur eine Stunde lang bei dem Flecken Saraï. Da der in den Kutschkästen mitgenommene Proviant ausdrücklich für solche Gegenden bestimmt war, wo es zu schwer sein würde, eine, wenn auch nur mittelmäßige Mahlzeit aufzutreiben, wurde derselbe hier nicht in Anspruch genommen. Man speiste in Saraï sogar noch ganz leidlich, und gleich darauf gings wieder weiter.
Bruno fand es vielleicht etwas hart, die Nacht in dem Cabriolet zuzubringen; Nizib dagegen betrachtete das als ganz natürlich und fiel bald in so ansteckenden Schlaf, daß ihm sein Nachbar schließlich nachfolgte.
Die Nacht verlief ohne Zwischenfall, Dank dem langen, vielfach gewundenen Verlaufe der Straße in der Nähe von Viza, wodurch die steilen Abhänge und die sumpfigen Strecken der Thalmulde vermieden werden. Zu seinem großen Leidwesen bekam dabei Van Mitten freilich nichts zu sehen von genannter kleinen Stadt mit 7000 Einwohnern und fast ausschließlich griechisch-katholischer Bevölkerung, dem Sitze eines orthodoxen Bischofs. Er war ja überhaupt nicht gekommen, Etwas zu sehen, sondern nur, um den rechthaberischen Seigneur Keraban zu begleiten, dem es herzlich wenig darauf ankam, besondere Eindrücke von der Reise mit heimzubringen.
Nachmittags gegen fünf Uhr fuhren die Reisenden dann, nachdem sie durch die Dorfschaften Bunar-Hissan, Yena und Uskup gekommen, um ein kleines gräbererfülltes Gehölz, in welchem die erdrosselten Opfer einer Räuberbande ruhen, die vormals in dieser Gegend hauste; dann gelangte die kleine Gesellschaft nach der ziemlich bedeutenden, über 16.000 Einwohner zählenden Stadt Kirk-Kilisse. Ihr Name »Vierzig Kirchen« rechtfertigt sich durch die auffallende Zahl kirchlicher Baudenkmäler. Eigentlich bildet sie übrigens ein beschränktes Thal, dessen Grund und Abhänge die Häuser einnehmen, welche Van Mitten in Begleitung des getreuen Bruno einige Stunden lang durchstreifte.
Der Wagen wurde in der Remise eines ziemlich gut erhaltenen Gasthofes eingestellt, in welchem Seigneur Keraban und seine Gefährten die Nacht verbrachten, und von wo aus sie mit Tagesanbruch weiterfuhren.
Im Laufe des 19. August rollte der Wagen durch das große Dorf Karabunar und erreichte erst spät Abends das Dorf Burgas am gleichnamigen Golf. Die Reisenden schliefen diese Nacht in einem »Khani«, einer Art sehr primitiver Herberge, welche gewiß nicht so viele Bequemlichkeiten bot, wie ihre eigene Postchaise.
Am folgenden Tage brachte sie die, jetzt vom Schwarzen Meere wieder abbiegende Landstraße noch am Vormittag nach Aïdos und am Abend nach Paravadi, einer Station der kleinen Eisenbahn von Schumla nach Varna (welche übrigens jetzt bis Rustschuk an der Donau ausgebaut ist. Der Uebers.). Sie durchschnitten darauf,
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