Keraban Der Starrkopf
Zeit, Tultscha in Augenschein zu nehmen, dessen höchst malerisches Amphitheater sich auf der Nordseite einer kleinen Bergkette, im Hintergrunde einer durch Verbreiterung des Stromes gebildeten Bai, fast gegenüber der Schwesterstadt Ismaïl ausdehnt.
Am folgenden Tage, dem 24. August, überschritt der Wagen vor Tultscha die Donau und setzte nun seinen Weg durch das von zwei mächtigen Stromarmen umschlossene Delta fort. Der erstere, den auch die Dampfschiffe benützen, heißt der Arm von Tultscha; der zweite, nördliche fließt bei Ismaïl, dann bei Kilia vorüber und erreicht unterhalb desselben das Schwarze Meer, nachdem er sich in fünf Canäle gespalten hat. Das Ganze bildet also die Donaumündungen.
Jenseits Kilias und der Grenze dehnt sich Bessarabien aus, das sich in einer Strecke von etwa fünfzehn Meilen weiter nach Nordosten erstreckt und ein Stück von der Küste des Schwarzen Meeres einnimmt.
Es liegt auf der Hand, daß der, viele wissenschaftliche Streitigkeiten verschuldende Ursprung des Namens Donau auch eine, zunächst rein etymologische Discussion zwischen Seigneur Keraban und Van Mitten veranlaßte, daß die Griechen zur Zeit Hesiod’s sie unter dem Namen Hister oder Ister gekannt; daß der Name Danubius durch die Heere Roms aufgekommen und verbreitet worden sei und Cäsar sie zuerst unter demselben bekannt gemacht habe; daß dieser Name in der Sprache der Thracier »wolkig« bedeute; daß er aus dem Keltischen, dem Sanskrit, dem Zend oder dem Griechischen abstamme; daß der Professor Bopp Recht und der Professor Windischmann nicht Unrecht habe, wenn sie über diesen Ursprung streiten – zuletzt wußte natürlich Seigneur Keraban wie immer seinen Gegner zum Schweigen zu bringen durch Ableitung des Namens Donau von dem Zend-Worte »Asdanu«, welches »der reizende Fluß« bedeutet.
So schnell ihre Strömung ist, reicht dieselbe doch nicht hin, die gewaltige Wassermenge abzuführen und in ihren selbstgegrabenen Betten zu erhalten; im Gegentheil muß man immer auf Ueberschwemmungen durch den Strom gefaßt sein. Trotz aller ihm zugegangenen Abmahnungen nahm der Seigneur Keraban darauf doch nicht die mindeste Rücksicht und ließ seinen Wagen quer durch das nicht eben kleine Delta führen.
Er befand sich in dieser Einöde übrigens insofern nicht allein, als Schaaren von Enten, wilden Gänsen, Ibissen, Schwänen und Pelikanen ihm Geleit zu geben schienen. Freilich vergaß er aber, daß wenn die Natur jene Wasservögel zu Stelzfüßlern geschaffen oder mit Schwimmhäuten versehen hat, man eben solche lange Beine oder Schwimmhäute besitzen muß, um bei Hochwasser nach längeren Regenperioden diese oft überschwemmten Gegenden ohne Gefahr besuchen zu können.
Jedermann wird zugeben, daß die Füße der Pferde vor dem Wagen sehr unzulänglich vorbereitet waren, um über den, von der letzten Ueberschwemmung her noch stark erweichten Boden zu gelangen. Jenseits dieses Armes der Donau, der sich bei Sulina in’s Schwarze Meer ergießt, findet sich nichts als ein ausgedehntes Sumpfland, durch welches eine kaum fahrbare Straße hinführt. Trotz der Rathschläge des Kutschers, denen Van Mitten sich anschloß, befahl Keraban doch, geradeaus weiter zu fahren, und man mußte ihm wohl oder übel gehorchen. Die vorauszusehende Folge davon war, daß der Wagen gegen Abend tief im Schlamme stak, ohne daß die Pferde ihn herauszuziehen vermocht hätten.
»Die Landstraßen sind in dieser Gegend nicht besonders gut unterhalten, glaubte Van Mitten bemerken zu sollen.
– Sie sind, wie sie sind, antwortete Seigneur Keraban, sind so, wie sie unter einer derartigen Regierung eben sein müssen.
– Wir thäten vielleicht besser, umzukehren und einen anderen Weg einzuschlagen?
– Im Gegentheil, es ist das Beste, geradeaus zu fahren und unsere Reiseroute in keiner Weise zu ändern.
– Aber wie sollen wir das können?…
– Sehr einfach, erklärte der unverbesserliche Starrkopf, wir lassen uns aus dem nächsten Dorfe Vorspannpferde holen. Ob wir nun im Reisewagen oder in einem Gasthofe ausschlafen, macht ja keinen Unterschied!«
Dagegen war nichts einzuwenden. Der Postillon und Nizib wurden also ausgesendet, das nächste Dorf aufzusuchen, welches immerhin ziemlich weit entfernt sein konnte. Voraussichtlich konnten sie vor Tagesanbruch nicht wieder zurück sein. Der Seigneur Keraban, Van Mitten und Bruno sahen sich demnach genöthigt, inmitten der weiten Steppe und ebenso verlassen, als wären sie tief in den
Weitere Kostenlose Bücher