Keraban Der Starrkopf
Pontus Euxinus gepeitschten Wassern badeten, zeigte sich Odessa, in der Entfernung einer halben Lieue, in seinem ganzen Glanze.
Die Stadt – eine Oase inmitten der ungeheueren, sie umgebenden Steppe – bildet ein prächtiges Panorama von Palästen, Kirchen, Hôtels und Häusern, welche das terrassenförmige Ufer bedecken, dessen unterster Theil senkrecht in’s Meer abfällt. Von der Wohnung des Banquiers Selim aus konnte man selbst den großen mit Bäumen geschmückten Platz sehen, ebenso die Monumentaltreppe, welche die Statue Richelieu’s beherrscht.
Genannter großer Staatsmann war der Gründer dieser Stadt und verwaltete dieselbe als oberster Beamter bis zur Stunde, wo er an der Befreiung des von dem coalirten Europa bedrohten Gebietes Frankreichs mithelfen mußte.
Wenn das Klima der Stadt sehr trocken ist, was häufige Nord-und Ostwinde bedingen, wenn die reichen Bewohner der Hauptstadt des neuen Rußlands während der heißesten Jahreszeit gezwungen sind, den kühlen Schatten der »Khutors« aufzusuchen, so erklärt das, warum derartige Villen sich am Seestrande so stark vermehrt haben, da sie Denen einen Erholungspunkt bieten, welchen ihre Geschäfte versagen, einige Monate Aufenthalt unter dem milderen Himmel der südlichen Krim zu nehmen.
Unter diesen verschiedenen Villen hätte man auch die des Banquiers Selim gesehen, deren Lage ihr die Unannehmlichkeiten allzugroßer Lufttrockenheit ersparte.
Fragt man, warum einem Flecken, der zur Zeit Potemkin’s noch ebenso wie die dabei gelegene Festung Hadji-Beg hieß, der Name Odessa, d. h. Stadt des Odysseus, gegeben wurde, so erfährt man, daß die, durch die der neuen Stadt bewilligten Handelsvortheile herbeigezogenen Colonisten die Kaiserin Katharina II. um einen neuen Namen angingen. Die Kaiserin befragte darauf die Akademie von St. Petersburg; die Akademiker durchwühlten viele Bände über die Geschichte des trojanischen Krieges; diese Nachforschungen führten auf die mehr oder weniger problematische Existenz einer Stadt des Odysseus zurück, welche in der Vorzeit einmal etwa an diesem Küstenpunkte gelegen haben sollte – und dadurch entstand der Name Odessa, der zuerst im zweiten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts vorkommt.
Odessa war von jeher eine Handelsstadt, ist es bis jetzt geblieben und wird es voraussichtlich immer bleiben. Ihre 150.000 Einwohner bestehen nicht allein aus Russen, sondern auch aus Türken, Griechen, Armeniern, neben einer kosmopolitischen Menge von Leuten, welche gern Geschäfte treiben. Wenn nun der Handel, vorzüglich der Ausfuhrhandel, nicht ohne Kaufleute denkbar ist, so kann derselbe auch der Banquiers nicht entrathen. So sind denn auch schon seit Gründung der neuen Stadt verschiedene Bankhäuser entstanden und unter diesen das bei seinem Anfange bescheidene, jetzt aber im höchsten Ansehen stehende Wechselgeschäft des Banquiers Selim.
Der Mann ist hinreichend gekennzeichnet, wenn man von ihm meldet, daß er zu der, übrigens mehr als man glaubt, zahlreichen Kategorie monogamischer Türken gehörte; daß er Witwer der einzigen Frau war, die er gehabt; daß er eine einzige Tochter, Amasia, die Verlobte des jungen Ahmet, des Neffen unseres Seigneur Keraban, hatte; endlich, daß er der Correspondent und Freund des starrsinnigsten der Osmanli war, dessen Kopf sich jemals unter den Falten des traditionellen Turbans verbarg.
Plötzlich krachten zwei Schüsse. (S. 82.)
Die Hochzeit Ahmets und Amasias sollte, wie der Leser weiß, in Odessa gefeiert werden. Des Banquiers Selim Tochter war nicht bestimmt, etwa die erste Frau in einem Harem zu werden, wo sie das Gynäceum (d. i. Weiberzimmer) eines selbstsüchtigen und launischen Türken mit mehr oder weniger Rivalinnen zu theilen gehabt hätte. Nein! sie sollte allein mit Ahmet nach Constantinopel in das Haus seines Onkels Keraban zurückkehren. Allein und ungetheilt sollte sie an der Seite des Gatten leben, der sie liebte, ebenso wie sie ihm seit seiner Kindheit zugeneigt war. Erschien eine solche Zukunft auch für eine junge türkische Frau im Lande Mohammed’s eigenthümlich, so änderte das doch nichts, und Ahmet war nicht der Mann dazu, von den einmal eingeführten Sitten seiner Familie abzuweichen.
Wir wissen übrigens, daß eine Tante Amasias, eine Schwester ihres Vaters, ihr auf dem Sterbebette die enorme Summe von hunderttausend Pfund unter der Bedingung vermacht hatte, daß sie vor Ablauf ihres sechzehnten Lebensjahres verheiratet sei – eine Laune
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