Keraban Der Starrkopf
bist’s?… Hast wahrlich einen gescheidten Streich gespielt, mich zu wecken. Sapperment, ich träumte eben von der Frau Van Mitten…
– Die mit Ihnen Zank anfangen wollte!… erwiderte Bruno. Nun, darum handelt es sich jetzt gerade nicht.
– Was ist denn los?
– Würden Sie nicht so freundlich sein, auch den Seigneur Keraban zu wecken?
– Ich ihn wecken?
– Ja, es ist die höchste Zeit!«
Ohne noch weitere Fragen zu stellen, schüttelte der selbst noch halb schlaftrunkene Holländer seinen Gefährten.
Ueber einen Türkenschlaf geht aber bekanntlich nichts, wenigstens sobald der betreffende Türke einen guten Magen und ein ruhiges Gewissen hat. Das war der Fall mit dem Gefährten Van Mitten’s. Dieser mußte seine Versuche mehrmals wiederholen.
Ohne die Augenlider zu heben, knurrte und brummte der Seigneur Keraban wie Einer, der nicht Luft hat, einer Aufforderung nachzukommen. Wenn er in schlafendem Zustande ebenso hartnäckig war, wie in wachendem, so hätte man zuletzt wohl darauf verzichten müssen, ihn zu erwecken.
Van Mitten und Bruno wiederholten jedoch ihre Bemühungen so hartnäckig, daß der Seigneur Keraban doch nicht umhin konnte, sich aus seinem kostbaren Schlummer aufzuraffen. Endlich streckte er wirklich die Arme aus, öffnete die Augen und fragte mit noch immer von Betäubung verschleierter, aber doch etwas zorniger Stimme:
»Hm! Die Vorspannpferde sind wohl mit Nizib und dem Esel von Postillon eingetroffen?
– Noch nicht, antwortete Van Mitten.
– Warum bin ich dann geweckt worden?
– Weil – wenn auch die Pferde noch nicht gekommen sind – bemerkte Bruno, doch andere verdächtige Thiere da sind, die den Wagen umringen und einen Angriff vorzubereiten scheinen.
– Was für Thiere?
– Sehen Sie selbst!«
Das Glasfenster wurde herabgelassen und Keraban beugte sich hinaus.
»Allah, schütze uns!« rief er. Das ist eine ganze Bande wilder Eber!«
Von einer Täuschung konnte keine Rede sein; das waren in der That wilde Eber; diese Thiere sind überhaupt in der Umgebung der Donaumündungen ungemein häufig; ihr Angriff ist oft furchtbar, und sie können eigentlich mit Recht den Raubthieren zugezählt werden.
»Was sollen wir nun beginnen? fragte der Holländer.
– Ganz still bleiben, wenn sie nicht angreifen, antwortete Keraban, uns vertheidigen, wenn sie über uns herfallen.
– Warum sollten die Wildschweine uns angreifen? erwiderte Van Mitten. Sie sind, so viel ich weiß, doch keine Fleischfresser!
– Mag sein, entgegnete Keraban; doch wenn wir nicht Gefahr laufen sollten, aufgefressen zu werden, so steht uns wenigstens bevor, den Leib aufgeschlitzt zu bekommen.
– Nun, das hebt sich, bemerkte Bruno trocken.
– Halten wir uns also für jeden Fall bereit!«
Seigneur Keraban ließ sofort die Waffen in Stand setzen. Van Mitten und Bruno hatten jeder einen sechsläufigen Revolver nebst reichlichen Patronen. Er, der Alttürke und erklärte Feind jeder neuen Erfindung, besaß nur zwei Pistolen ottomanischen Fabrikats mit damascirtem Laufe und mit Schildpatt und kostbaren Steinen eingelegtem Schaft, aber freilich mehr geeignet, den Gürtel eines Agha zu zieren, als im ernsten Kampfe zu dienen. Van Mitten und Bruno mußten sich also mit diesen einzigen Waffen begnügen und dieselben möglichst erfolgreich zu gebrauchen suchen.
Karte des Schwarzen Meeres.
Inzwischen hatten sich die Eber, etwa zwanzig an der Zahl, nach und nach genähert und umringten nun den Wagen. Beim Schein der Laternen, der sie offenbar herbeigelockt hatte, konnte man erkennen, wie sie wild durcheinander sprangen und den Boden mit den Hauern aufwühlten. Es waren ganz gewaltige Thiere von der Größe eines Esels und von furchtbarer Kraft, gewiß jedes allein hinreichend, eine ganze Meute zu zerfleischen. Die in ihren Wagen eingeschlossenen Reisenden befanden sich also in ziemlich beunruhigender Lage, wenn sie vor Tagesanbruch von der einen oder anderen Seite angegriffen wurden.
Die Pferde witterten auch Gefahr. Bei dem schrecklichen Grunzen der Heerde schnaubten sie auf und drängten sich zur Seite, so daß man fürchten konnte, sie würden das Riemenzeug zerreißen oder die Deichsel zerbrechen.
Plötzlich krachten zwei Schüsse. Van Mitten und Bruno hatten zwei Revolverschüsse abgegeben auf diejenigen der Eber, welche zum Angriff übergehen zu wollen schienen. Die mehr oder weniger verwundeten Thiere brüllten vor Wuth, während sie auf der Erde kollerten. Die Anderen waren dadurch
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