Keraban Der Starrkopf
Mitten gleichzeitig mit der Sonne, um die Stadt zu besichtigen. Diesmal fand er auch Ahmet bereit, ihn zu begleiten.
Beide gingen also durch die breiten Straßen von Kertsch mit Fußstegen und Steinplatten an den Seiten, wo eine Menge wilder Hunde umherirrten, welche ein Zigeuner, dem dieses niedrige Geschäft zufiel, mit Stockschlägen zu vertreiben hat. Jedenfalls hatte der Henker aber einen Theil der Nacht in der Schänke zugebracht, denn Ahmet und der Holländer hatten einige Mühe, den Spitzzähnen der gefährlichen Köter zu entgehen.
Der steinerne Quai am Meere im Hintergrunde der durch eine Einziehung des Ufers gebildeten Bucht, der bis zum Strande der Meerenge reicht, bot ihnen dann bequemeren Weg. Hier erhoben sich der Palast des Gouverneurs und das Zollhaus. Ein gutes Stück draußen und unsern des Lazareths liegen, wegen mangelnder Tiefe des Wassers, die Schiffe verankert, denen Kertsch recht sicheren Schutz bietet. Seit Abtretung der Stadt an Rußland im Jahre 1771 hat sich hier ein ausgedehnter Handel entwickelt, und vorzüglich findet man ein bedeutendes Lager von dem Salze, welches die Salinen von Perekop liefern.
»Haben wir Zeit, da hinauf zu steigen? sagte Van Mitten, indem er nach dem Berge Mithridates wies, auf dem sich jetzt ein griechischer Tempel erhebt, der mit den Funden der gerade hier sehr zahlreichen alten Gräber ausgestattet ist – ein Tempel, welcher die Stelle der alten Akropolis einnimmt.
– Hm! antwortete Ahmet, wir dürfen nur nicht wagen, den Onkel Keraban warten zu lassen.
– So wenig wie seinen Neffen, antwortete Van Mitten lächelnd.
– Ich muß freilich zugestehen, antwortete Ahmet, daß mir bei unserer ganzen Reise kein anderer Gedanke vorschwebt, als der, möglichst bald nach Scutari zu kommen. – Sie verstehen mich wohl, Herr Van Mitten?
– Ja, ich verstehe, junger Freund, versicherte der Holländer, obwohl der Gatte der Frau Van Mitten wohl das Recht hätte, Sie nicht zu verstehen!«
Nach diesen, durch die uns bekannten Vorgänge in Rotterdam sehr gerechtfertigten Bemerkungen stiegen Beide den Berg Mithridates hinauf, da ihnen bis zur Weiterfahrt noch zwei Stunden übrig blieben.
Von der Höhe aus bietet sich ein herrlicher Blick über die Bai von Kertsch. Im Süden zeigte sich die äußerste Spitze der Halbinsel; gegen Osten streckten sich die beiden Landzungen aus, welche jenseits der Straße von Jenikaleh die Bai von Taman bilden. Die heute besonders klare Luft machte es möglich, die vielen Hügelbildungen der Umgegend und jene »Khourghans« oder alten Gräber zu erblicken, mit denen das Land bis zu den niedrigsten, aus Steinkorallen bestehenden Hügeln bedeckt ist.
Als Ahmet den Zeitpunkt zur Rückkehr in’s Hôtel gekommen glaubte, zeigte er Van Mitten eine monumentale Treppe mit Balustraden, welche vom Berge Mithridates nach der Stadt hinabführte und auf dem Marktplatze endigte. Eine Viertelstunde später trafen sie wieder mit dem Seigneur Keraban zusammen, der vergeblich versuchte, den Wirth, einen höchst friedliebenden Tataren, in einen Streit zu verwickeln. Es war hohe Zeit, daß sie kamen, denn der Onkel war nahe daran, böse zu werden, weil er keine Gelegenheit hatte, wüthend zu werden.
Mit kräftigen persischen Pferden, die in Kertsch vielfach verkauft werden, bespannt, stand der Wagen bereit. Jeder nahm seinen Platz ein und man fuhr in gestrecktem Galopp ab, der den ermüdenden Trab der Dromedare nicht beklagen ließ.
Ahmet fühlte freilich eine gewisse Unruhe, als man sich der Meerenge näherte. Der Leser erinnert sich dessen, was damals vorging, als die Reiseroute in Cherson geändert wurde. Nur auf die Bitten seines Neffen hatte Seigneur Keraban zugestimmt, nicht auch um das Asow’sche Meer zu fahren, sondern den kürzesten Weg durch die Krim einzuschlagen. Er gestand das freilich nur in der Erwartung zu, daß er an jedem Punkte des Weges Land unter den Füßen habe, und Ahmet hatte nichts gethan, diesen Irrthum zu zerstreuen.
Man kann ein guter Türke, ein ausgezeichneter Tabakhändler sein und braucht von Geographie nicht viel zu verstehen. Der Onkel Ahmets wußte nun wahrscheinlich nicht, daß das Asow’sche in das Schwarze Meer sich durch einen breiten Sund ergießt, durch den alten kimmerischen Bosporus, den man die Meerenge von Jenikaleh nennt, und daß man also zwischen der Halbinsel von Kertsch und der von Taman gezwungen war, über diese Wasserstraße zu setzen.
Der Seigneur Keraban empfand aber gegen das Meer einen
Weitere Kostenlose Bücher