Keraban Der Starrkopf
Widerwillen, den sein Neffe schon seit längerer Zeit kannte. Was würde er also sagen, wenn er sich vor dieser Wasserstraße befand, und es vielleicht, in Folge der Strömung und der mangelnden Tiefe, nöthig wurde, dieselbe in ihrer größten, auf zwanzig Seemeilen geschätzten Breite zu übersegeln? Und wenn er sich nun weigerte, dieses Wagstück zu unternehmen? Wenn er darauf bestand, längs der ganzen Ostküste der Krim zurück und um das Ufer des Asow’schen Meeres bis zu den ersten Abhängen des Kaukasus zu fahren? Welche Verzögerung der Reise! Welcher Zeitverlust! Wie wichtige Interessen wurden damit gefährdet, und wie konnte man am 30. September in Scutari zurück sein?
Derlei Gedanken beschäftigten Ahmet, während der Wagen über die Halbinsel dahinjagte. Vor Ablauf von zwei Stunden mußte er die Meerenge erreicht haben und mußte der Onkel wissen, woran er war. Empfahl es sich vielleicht, ihn schon jetzt auf das, was ihm bevorstand, vorzubereiten?
Im gestreckten Trabe seines merkwürdigen Gespanns. (S. 155.)
Aber wie geschickt hätte der junge Mann da verfahren müssen, um das Gespräch nicht in eine gereizte Verhandlung, und die Verhandlung nicht in einen Streit umschlagen zu lassen! Wenn der Seigneur Keraban den Kopf aufsetzte, hätte ihn doch nichts von seiner Idee wieder abgebracht, und wohl oder übel hätte der Wagen die Straße nach Kertsch wieder einschlagen müssen.
Ahmet wußte nicht, was er beginnen sollte. Gestand er seine List ein, so riskirte er, seinen Onkel ganz außer sich zu bringen. War es nicht besser, sich selbst unwissend hinzustellen und das größte Erstaunen zu heucheln, wenn sich da eine Meerenge zeigte, wo man Festland zu treffen gehofft hatte?
»Möge Allah mir zu Hilfe kommen!« dachte Ahmet.
Und er wartete mit Ergebung, daß der Gott der Moslims ihn aus der fatalen Lage befreien werde.
Die Halbinsel von Kertsch ist durch einen breiten Graben getrennt, der noch aus dem Alterthum herrührt und der Wallgraben Akos’ genannt wird. Die ihm folgende Straße ist bis zum Lazareth hin sehr gut, wird dann aber mühsamer und, wo sie den Abhang nach dem Ufer hinabführt, manchmal schlüpfrig und steil.
Die Pferde konnten also im Laufe des Vormittags nicht so schnell vorwärts kommen, was Van Mitten Gelegenheit gab, diesen Theil des Chersones etwas genauer in Augenschein zu nehmen.
Kertsch. (S. 156.)
Im Ganzen ähnelte derselbe der russischen Steppe in ihrer Nacktheit. Einige Karavanen zogen darüber hin und suchten längs des Wallgrabens Schutz, wo sie lagerten und einen malerischen Anblick gewährten.
Unzählige Khourghans bedeckten das Land und verliehen ihm das wenig anziehende Aussehen eines ungeheuren Kirchhofs. Es waren da wirklich ebensoviele Gräber, welche die Alterthumsforscher bis zum Grund durchwühlt haben, und deren Schätze an etrurischen Vasen, Inschriften und alten Kleinodien jetzt die Mauern des Tempels und die Säle des Museums von Kertsch zieren.
Gegen Mittag tauchte am Horizont ein großer viereckiger Thurm auf, den vier kleinere Thürme umgaben; es war das Fort, welches sich nördlich des Städtchens Jenikaleh erhebt. Im Süden, am Ende der Bai von Kertsch, erhob sich das, die Küste des Schwarzen Meeres weit überragende Cap Au-Burum. Weiterhin dehnte sich die Meerenge mit den beiden Spitzen aus, welche den »Liman« oder die Bai von Taman bilden. Ganz in der Ferne umschlossen die ersten Höhen des Kaukasus auf der asiatischen Seite den kimmerischen Bosporus gleich einem riesenhaften Rahmen.
Auf den ersten Blick erscheint die Straße hier wie ein Meeresarm, und Van Mitten, der die Antipathie seines Freundes Keraban kannte, sah deshalb Ahmet etwas erstaunt an.
Ahmet bedeutete ihm zu schweigen. Zum Glück schlief der Onkel noch und gewahrte also nichts von den Gewässern des Schwarzen und des Asow’schen Meeres, die sich in jenem Sunde vereinigen, dessen schmalste Stelle immer noch fünf bis sechs Seemeilen breit ist.
»Alle Teufel!« sagte Van Mitten für sich.
Es war wirklich zu beklagen, daß Keraban nicht einige hundert Jahre später das Licht der Welt erblickt hatte. Wäre er zu der Zeit hier gereist, so brauchte es Ahmet nicht in solche Verlegenheit zu setzen, wie es jetzt der Fall war.
Die Meerenge versandet nämlich mehr und mehr und wird schließlich durch Anhäufung muschelführenden Sandes nur noch einen schmalen Canal mit heftiger Strömung darstellen. Wenn vor hundertfünfzig Jahren die Schiffe Peters des Großen
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