Keraban Der Starrkopf
Rion und der Kapatcha gelegene Stadt so schnell verließe, damit auch die Gefahr der Erkrankung an einem verderblichen Fieber beseitigt würde, was in den ungesunden Gegenden dieses Küstenstriches immer zu fürchten ist.
Während der Holländer sich solcherlei Gedanken hingab, suchte Ahmet Ersatz zu finden für den Postwagen, der ohne die unqualificirbare Unklugheit seines Eigenthümers gewiß noch lange Zeit gute Dienste geleistet hätte. In der so kleinen Stadt Poti aber einen neuen oder gebrauchten Reisewagen aufzutreiben, darauf war sicherlich nicht zu rechnen. Eine »Perceladnaïa« oder russische »Araba« gab es vielleicht eher, und die Börse des Seigneur Keraban war ja vorhanden, um jeden dafür geforderten Preis zu bezahlen. Die genannten Fuhrwerke erheben sich indeß nicht über mehr oder weniger primitive Karren, denen es an jeder Bequemlichkeit fehlt und die mit einer Reise-Berline nicht das Geringste gemein haben. Bespannt man sie auch mit noch so kräftigen Pferden, so können sie an Schnelligkeit der Bewegung eine Postchaise doch niemals erreichen. Welche Verzögerungen waren also nun bis zur Beendigung der Reise zu fürchten!
Ahmet hatte überdies jetzt gar keine Ursache, wegen der Wahl eines Fuhrwerkes in Verlegenheit zu kommen. Für den Augenblick war nichts, weder Wagen noch Karren, verfügbar. Da es ihm jedoch vor Allem darauf ankam, seinen Onkel aufzufinden, um diesen sich nicht etwa durch seine Starrsinnigkeit noch in schlimmere Lage bringen zu lassen, entschied er sich dahin, die etwa zwanzig Lieues betragende Strecke zwischen Poti und der russisch-türkischen Grenze zu Pferde zurückzulegen. Er war selbstverständlich ein tüchtiger Reiter, und Nizib hatte ihn häufig genug auf seinen Lustritten begleitet. Van Mitten erklärte auf Befragen, wenigstens mit den Elementarbegriffen der edlen Reitkunst vertraut zu sein, und versprach, ohne für Brunos Geschicklichkeit eintreten zu können, zu Pferde zu folgen.
Der Aufbruch sollte am nächsten Morgen erfolgen, um die Grenze noch denselben Abend zu erreichen.
Nun schrieb Ahmet einen langen Brief unter der Adresse des Banquiers Selim, der natürlich mit den Worten: »Meine innigstgeliebte Amasia!« anfing. Er schilderte darin Alles, was sich neuerdings zugetragen, den Unfall bei Poti, wie er vom Onkel getrennt worden und wie er ihn wieder zu finden hoffe. Daran schloß er die Versicherung, daß die Rückkehr deshalb nicht verzögert und er Mittel finden würde, Menschen und Thiere in Athem zu halten, um in der noch übrigen mittleren Zeit täglich die entsprechende Wegstrecke zurückzulegen. Sie solle sich also, bat er inständigst, ja mit ihrem Vater und Nedjeb in der Villa zu Scutari zur rechten Zeit und womöglich noch ein wenig eher einfinden, um ihm bei der Heimkehr nicht die Freude des heißersehnten Wiedersehens zu verkümmern.
Diesen Brief voll zärtlicher Grüße an das junge Mädchen sollte das Packetboot, welches den regelmäßigen Dienst zwischen Poti und Odessa versieht, am folgenden Morgen mitnehmen. Vor Ablauf von achtundvierzig Stunden würde er dann an seinem Ziele angelangt, geöffnet, eifrig gelesen und vielleicht an ein Herz gedrückt worden sein, dessen Schläge Ahmet am anderen Ende des Schwarzen Meeres zu vernehmen glaubte. Die beiden Verlobten befanden sich jetzt am weitesten von einander, an den Enden der großen Achse einer Ellipse nämlich, deren Umfang zu folgen Ahmet der unbeugsame Starrsinn seines Onkels gezwungen hatte.
Und während er so schrieb, um Amasia zu beruhigen und zu trösten, was begann da Van Mitten?
Nachdem er im Hôtel gespeist, durchstreifte der Holländer neugierig die Straßen von Poti, lustwandelte unter den Bäumen des Stadtparkes, längs der Quais des Hafens oder der ihrer Vollendung nahen Molen. Aber er war allein; Bruno hatte ihn diesmal nicht begleitet.
Und weshalb gieng Bruno nicht mit seinem Herrn, bereit, ihm ehrerbietige, aber richtige Bemerkungen über die jetzige fatale Lage, wie über die noch bedrohlichere Zukunft zu machen?
Bruno hatte einen Gedanken gehabt. Fände sich in Poti auch weder Berline noch Postchaise, so gab es hier doch wohl eine Wage. Für den abgemagerten Holländer bot sich demnach hier oder nirgends Gelegenheit, sich wägen, sein heutiges Gewicht mit dem ursprünglichen vergleichen zu lassen.
Der Diener hatte also das Hôtel verlassen, auch, ohne davon etwas zu sagen, den Reiseführer seines Herrn mitgenommen, mit dessen Hilfe er sich das ihm seinem Werthe nach
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