Keraban Der Starrkopf
des Paradieses ist.
Nach einer weiteren Stunde hielten die Reisenden vor den Geleisen der Poti-Tifliser Eisenbahn an einer Stelle, wo die Straße den Schienenweg kreuzt, etwa eine Werst unterhalb der Station Sakario.
Hier befand sich ein Niveauübergang, den man benutzen mußte, um unter Abkürzung des Weges am linken Flußufer nach Poti zu gelangen.
Die Pferde standen also vor der eben geschlossenen Bahnbarrière still.
Die Wagenfenster waren herabgelassen worden, so daß der Seigneur Keraban und seine zwei Begleiter bequem sehen konnten, was draußen vorging.
Der Kutscher klatschte und rief nach dem Bahnwärter, der doch zunächst gar nicht erschien.
Keraban steckte den Kopf durch die Thüre.
»Untersteht sich diese verwünschte Eisenbahngesellschaft, rief er, auch noch, uns die kostbare Zeit zu stehlen? Warum ist dieser Schlagbaum herabgelassen, wenn ein Wagen kommt?
– Wahrscheinlich, weil binnen Kurzem ein Zug zu erwarten ist, bemerkte Van Mitten gelassen.
– Ja, weshalb soll denn ein Zug kommen?« versetzte Keraban.
Noch immer wiederholte der Kutscher vergeblich seine Rufe. Kein lebendes Wesen erschien in der Thür des Wächterhäuschens.
»Mög’ ihm Allah den Hals umdrehen! rief Keraban. Wenn er nicht kommt, werd’ ich schon selbst zu öffnen wissen!…
– Etwas Geduld, lieber Onkel! bat Ahmet, indem er Keraban der schon aussteigen wollte, zurückhielt.
– Geduld?…
– Ja; da ist schon der Bahnwärter!«
Wirklich trat der Mann eben aus seinem Häuschen und kam langsamen Schrittes auf das Gespann zu.
»Können wir hinüber fahren? Ja oder nein? fragte Keraban kurz angebunden.
– Ja, es geht noch, erklärte der Wärter. Unter zehn Minuten kann der Zug von Poti noch nicht hier sein.
– So öffnen Sie die Barriere und halten Sie uns nicht unnütz auf. Wir haben Eile.
– Ich werde sogleich öffnen,« antwortete der Bahnwärter.
Mit diesen Worten begab er sich zunächst nach der jenseitigen Barriere, die er beseitigte, und dann erst nach der, vor welcher der Wagen hielt; Alles ging aber so gemächlich, wie es nur ein Mann ausführen kann, der gegen die Anforderungen von Reisenden mit vollkommener Gleichgiltigkeit gepanzert ist.
Der Seigneur Keraban kochte schon vor Ungeduld.
Endlich lag der Weg nach allen vier Seiten frei und der Wagen setzte sich wieder in Bewegung.
Da tauchte auf der anderen Seite eine Gruppe Reisender auf. Ein vornehmer Türke auf stolzem Rosse, gefolgt von vier Reitern, die ihn wie eine Leibwache begleiteten, wollte eben den Niveauübergang passiren.
Es war das offenbar eine hervorragende Persönlichkeit. Etwa dreißig Jahre alt, zeigte seine hohe Gestalt jenen der asiatischen Race eigenthümlichen edlen Anstand. Dazu besaß er ein hübsches Gesicht, mit Augen, die sich gewiß am Feuer der Leidenschaft entzünden konnten, eine glanzlose Stirn und schwarzen, bis halb auf die Brust niederwallenden Vollbart, einen Mund mit blendend weißen Zähnen, und Lippen, welche nicht zu lächeln verstanden; kurz er machte den Eindruck eines befehlerischen Mannes, dem Lebensstellung und Vermögen eine gewisse Machtfülle verliehen und der an die Erfüllung seiner Wünsche, wie an die Beachtung jeder Willensäußerung gewöhnt war, während jeder Widerstand ihn zu schrankenlosen Gewaltmitteln trieb. In dieser Natur, deren türkischer Typus noch Verwandtschaft mit arabischem Typus zeigte, steckte noch ein guter Theil Wildheit.
Der vornehme Herr trug einfache Reisekleidung nach der Mode derjenigen Osmanlis, welche mehr Asiaten als Europäer sind. Unter einem dunkelfarbigen Kaftan suchte er offenbar seine wichtige Persönlichkeit nur vor Anderer Augen zu verbergen.
Der Wagen hatte angesichts der ebenfalls die Pferde parirenden Reiter wieder gehalten; es schien aber nicht, als ob der Fremde Lust habe, dem Seigneur Keraban den Weg zu überlassen.
»Machen Sie Platz! rief Keraban den Reitern zu, deren Pferde denen des Wagens Kopf an Kopf gegenüberstanden.
– Machen Sie selbst Platz! antwortete der Neuangekommene, der entschlossen schien, keinen Schritt zurückzuweichen.
– Ich war zuerst hier!
– So werden Sie zu Zweit’ hinüberkommen!
– Ich weiche aber nicht vom Flecke!
– Ich auch nicht!«
Bei dieser Tonart angelangt, schien der Wortwechsel eine recht üble Wendung zu nehmen.
»Lieber Onkel, bat Ahmet, was kann es uns denn schaden?…
– Herr Neffe, es schadet wohl sehr viel!
– Lieber Freund… mischte sich auch Van Mitten ein.
– Laßt mich in Ruhe!«
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