Keraban Der Starrkopf
und Bruno sein Pferd und das des Holländers hielten, liebster Onkel!
– Mein lieber Freund!« setzte Van Mitten hinzu.
Keraban ergriff Beider Hände und rief, indem er nach den Kosaken zeigte, die längs der Grenze auf und ab ritten:
»In der Eisenbahn! Diese Elenden haben mich gezwungen, einen Dampfwagen zu besteigen! Mich!… Mich!«…
Zu dieser Art der Personenbeförderung erniedrigt worden zu sein, die ihm eines wahren Türken unwürdig schien, das hatte offenbar den Seigneur Keraban am meisten aufgebracht. Nein, das konnte er nicht verdauen! Sein Zusammenstoß mit dem Seigneur Saffar, sein Streit mit dem unverschämten Manne, und was dem folgte, die Zertrümmerung des Reisewagens, die Verlegenheit, in der er sich wegen Fortsetzung der Fahrt befand, Alles vergaß er gegenüber der Ungeheuerlichkeit, auf einer Eisenbahn gewesen zu sein! Er, ein Altgläubiger!
»O, das ist unwürdig! antwortete Ahmet, der es hiebei ganz besonders für angezeigt hielt, seinem Oheim nicht zu widersprechen.
– Ja, unwürdig, stimmte Van Mitten ein, aber Alles in Allem, Freund Keraban, ist Ihnen doch nichts Ernsthaftes zugestoßen…
– Nehmen Sie Ihre Zunge in Acht, Herr Van Mitten! rief Keraban. Nichts Ernsthaftes, sagten Sie?«
Ein Zeichen Ahmets bedeutete den Holländer, daß er auf falschem Wege sei. Sein alter Freund behandelte ihn schon als »Herr Van Mitten« und fuhr fort, ihn in gleicher Weise zu interpelliren.
»Wollen Sie mir wohl sagen, was Sie mit den unqualificirbaren Worten »nichts Ernsthaftes« eigentlich meinen?
– Freund Keraban, ich hatte die auf den Bahnen so gewöhnlichen Unfälle im Sinn, eine Entgleisung, einen Zusammenstoß…
– Herr Van Mitten, eine Entgleisung wäre vorzuziehen gewesen! rief Keraban. Ja, bei Allah, es wäre besser gewesen, zu entgleisen, Arme, Beine und den Kopf zu verlieren, als eine solche Schande zu überleben!
– Glauben Sie doch, Freund Keraban… fuhr Van Mitten fort, der nicht wußte, wie er seine unvorsichtigen Worte wieder gut machen sollte.
– Es handelt sich hier gar nicht darum, was ich glauben könnte, antwortete Keraban, auf den Holländer losfahrend, sondern darum, was Sie glauben! Es handelt sich um die Art und Weise, wie Sie diese Mißhandlung eines Mannes betrachten, der sich seit dreißig Jahren für Ihren Freund hielt!«
Ahmet wollte ein Gespräch ablenken, dessen deutlich vorherzusehendes Resultat nur eine Verschlimmerung der Sache sein konnte.
»Lieber Onkel, sagte er, ich glaube versichern zu können, daß Du Herrn Van Mitten falsch verstanden hast…
– Gewiß, gewiß!
– Oder daß Herr Van Mitten vielmehr sich falsch ausgedrückt hat. Ganz wie ich, fühlt er eine tiefe Indignation über die Behandlung, welche jene verwünschten Kosaken Dir haben angedeihen lassen.«
Glücklicher Weise wurde das Alles türkisch gesprochen, so daß die »verwünschten Kosaken« nichts verstehen konnten.
»Im Grunde, lieber Onkel, ist auch ein Anderer an all’ diesem Unheil schuld, und ein Anderer für das verantwortlich, was Dir widerfahren ist. Jener unverschämte Mann, der uns den Uebergang bei der Eisenbahn von Poti versperrte. Jener Saffar ist es.
– Ja, Saffar! rief Keraban, der sehr zur rechten Zeit von seinem Neffen auf eine andere Fährte gelenkt worden war.
– Ja, tausendmal ja, der Saffar! beeilte sich Van Mitten hinzuzufügen, das wollte ich eben sagen, Freund Keraban.
– Der infame Saffar! sagte Keraban.
– Der infame Saffar!« wiederholte Van Mitten, der sich schnell zum Echo seines Widersachers verwandelte.
Er hätte gern einen noch derberen Ausdruck gebraucht, fand aber keinen.
»Wenn wir den je wieder treffen!… sagte Ahmet.
– Und nun nicht nach Poti zurückkehren zu können, rief Keraban, um ihn für seine Unverschämtheit büßen zu lassen, ihn zu beleidigen, ihm die Seele aus dem Leibe zu reißen und ihn den Händen des Henkers zu überliefern!…
– Ihn pfählen zu lassen!«glaubte Van Mitten hinzufügen zu müssen, der sich jetzt desto wilder gesinnt zeigte, um die gefährdete Freundschaft wieder zu sichern.
Dieser echt türkische Vorschlag – wie man gern zugeben wird – brachte ihm einen Händedruck von seinem Freunde Keraban ein.
»Lieber Onkel, sagte da Ahmet, augenblicklich wäre es wohl unnütz, nach dem Seigneur Saffar zu forschen.
– Und warum, lieber Neffe?
– Der Mann ist nicht mehr in Poti, belehrte ihn Ahmet. Als wir dorthin kamen, hatte er sich eben auf einem Dampfer eingeschifft, der den
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