Keraban Der Starrkopf
zweihundertfünfzig Lieues zurückzulegen und nur siebzehn Tage bis zum 30. desselben Monats übrig, und mit diesem Datum mußte der Seigneur Keraban unbedingt zurück sein! An diesem Tage hoffte Ahmet in der Villa zu Scutari die junge Amasia zu treffen, die ihn zur Feier ihrer Hochzeit erwartete. Es begreift sich also unschwer, daß Onkel und Neffe gleichmäßig ungeduldig waren, und daß die Verlegenheit, wie dieser zweite Theil der Reise durchgeführt werden sollte, eine nicht geringe Beunruhigung erregte.
Einen Reisewagen oder nur ein einfaches Gefährt in diesem dürftigen, in Kleinasien verlorenen Dorfe zu finden, darauf war gar nicht zu rechnen. Man mußte sich wohl oder übel mit einem der hier landesüblichen Fuhrwerke begnügen, welche natürlich sehr primitiver Art waren.
Besorgt und nachdenklich ging so der Seigneur Keraban zu Fuß auf der Straße längs der Küste hin; Bruno zog sein Pferd nach sich, ebenso wie das seines Herrn, der jetzt lieber an der Seite seines Freundes dahinwanderte, während Nizib zu Pferde blieb und die Spitze der kleinen Karawane bildete. Ahmet nur war schon vorausgeeilt, um in Choppa Quartier zu besorgen und wenn möglich ein Fuhrwerk zu erwerben, um mit dem Morgenrothe weiterreisen zu können.
Langsam und still schritten sie dahin. Der Seigneur Keraban verbiß nach Kräften seinen Zorn, der sich nur in den oft wiederholten Worten: »Kosaken, Eisenbahn, Waggon, Saffar!« Luft machte. Van Mitten lauerte auf eine passende Gelegenheit, ihm sein Vorhaben einer Trennung mitzutheilen, doch fand er keinen günstigen Augenblick und wagte es nicht bei dem Gemüthszustande seines Freundes, der bei dem geringsten Worte in hellen Zorne aufzulodern drohte.
Um neun Uhr Abends kam man nach Choppa; die Fußwanderung erforderte eine ganze Nacht Ruhe. Der Gasthof war nur mittelmäßig, bei ihrer Müdigkeit aber schliefen Alle volle zehn Stunden, während Ahmet noch denselben Abend auf’s Land hinausging, um ein Transportmittel zu entdecken.
Am folgenden Tage, am 14. September, stand eine Araba fertig bespannt vor der Thür des Gasthofes.
Ah, wie bedauerten jetzt Alle den altmodischen Reisewagen, der nun durch einen plumpen zweirädrigen Karren ersetzt war, in dem kaum drei Personen Platz finden konnten. Zwei Pferde an seiner Deichsel waren auch nicht gerade zuviel, um die schwerfällige Maschine in Bewegung zu setzen. Zum Glück hatte Ahmet die Araba mit einer undurchlässigen Plache, welche über Holzreifen gespannt wurde, überdecken lassen, um Schutz gegen Regen und Wind zu gewähren. Man mußte also fürlieb nehmen, und es war kaum zu erwarten, daß vor Trapezunt ein bequemeres und schnelleres Gefährt aufgefunden würde.
Leicht begreiflicher Weise zogen Van Mitten, trotz seines Phlegmas, und Bruno, der am Ende der Kräfte war, beim Anblick dieser Araba ein enttäuschtes Gesicht, das freilich ein einziger strenger Blick des Seigneur Keraban wieder zu verwandeln wußte.
»Das ist Alles, was ich finden konnte, lieber Onkel, sagte Ahmet, auf die Araba zeigend.
– Und auch Alles, was wir brauchen, antwortete Keraban, der um Alles in der Welt nicht den Schatten eines Bedauerns seines vorzüglichen Reisewagens hätte sichtbar werden lassen.
– Ja, fuhr Ahmet fort, mit einer tüchtigen Schütte Stroh in dieser Araba…
– Werden wir uns wie Flürsten fühlen, lieber Neffe.
– Wie Theaterfürsten! murmelte Bruno.
– Was? knurrte Keraban.
– Uebrigens, erklärte Ahmet, sind wir nicht weiter als hundertsechzig Agatchs (etwa sechzig Lieues) von Trapezunt entfernt und dort, hoffe ich, können wir uns ein besseres Gefährt verschaffen.
– Ich wiederhole, daß auch das hier genügt!« versicherte Keraban, der mit gerunzelten Augenbrauen spähte, ob das Gesicht seiner Begleiter Widerspruch ausdrücken möchte.
Zerschmettert von diesem furchtbaren Blick, bemühten sich jedoch Alle möglichst freundlich zu erscheinen.
Man kam dahin überein, daß der Seigneur Keraban, Van Mitten und Bruno in der Araba Platz nehmen sollten. Auf einem der Pferde ritt der Kutscher, der an jeder Station für den Wechsel der Pferde sorgen sollte; Ahmet und Nizib dagegen, welche mehr an das Reiten gewöhnt waren, sollten zu Pferde folgen. So hoffte man bis Trapezunt keine besondere Verzögerung zu erleiden. In jener bedeutenden Stadt aber wollte man Mittel und Wege finden, die Reise auf bequemere Art zu vollenden.
Der Seigneur Keraban gab das Zeichen zum Aufbruch, nachdem die Araba mit einigen Vorräthen
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