Kerker und Ketten
nach Olivenöl. Tunis ist auch heute noch die Stadt der großen Olivenhaine.
Die beiden betraten den Laden. Weisungsgemäß fiel Ojo prompt in die Rolle eines etwas blöden Taubstummen. Michel hingegen trat auf, als gehöre ihm die Welt. »Barra«, schrie er trotz seiner immer noch nicht vollkommenen Aussprache den dicken, speckigen Ladenbesitzer an und ließ eine verwirrende Flut arabischer Flüche auf ihn herniederprasseln. Dabei klopfte er auf seinen Beutel, daß die goldenen Piasterstücke klapperten. Trotzdem ließ sich der Händler nicht aus der Fassung bringen, sondern fragte sehr geruhsam: »Was willst du, Cous-Cous, Oliven, Datteln, Feigen, türkischen Honig, Brot oder vielleicht alles zusammen? Du bist so dürr, und der Inhalt deines Beutels klingt so vielversprechend, daß du eine gute Mahlzeit zu dir nehmen solltest. Auch ein wenig Haschisch würde dir nicht schaden; denn es steigert die Genüsse, die Allah seinen Gläubigen gewährt, und die Welt sieht rosenfarbener aus nach seinem Genuß. Auch kann ich dir einen neuen Turban und einen neuen Burnus sehr empfehlen. Dein Habit sieht aus, als seiest du monatelang durch Dreck und Regen geritten. In vornehmer Gesellschaft kannst du dich damit nicht mehr sehen lassen. Des weiteren kann ich dir wunderbare Marokko-Ledersandalen empfehlen, die deinem Fuß einen weichen Gang verleihen und dein Äußeres wie das eines Pascha erscheinen lassen. Dann habe ich noch ... «
»Halt ein«, unterbrach der Pfeifer den orientalischenRedestrom, »bin ich auf einem Jahrmarkt oder befinde ich mich in einem Basar, in dem ich für mich und meinen Begleiter einen Ölkuchen und frische Oliven kaufen kann?«
Er setzte eine gebieterische Miene auf und gab seiner Haltung noch mehr Würde. »O Effendim, lausche geduldig und laß mich dir meine Waren anpreisen. Vielleicht gelüstet es deine Zunge dann nach leckereren Speisen als nach billigen Ölkuchen und zähen Oliven. Der Süßigkeiten gibt es viele in meinem Basar. Und ich sage dir, daß der Prophet bei mir getafelt hätte, wäre ich zu seinen Zeiten schon Händler oder Schankwirt in Mekka oder Medina gewesen.«
»Bei Allah, ich bin weder der Prophet noch ein Mara-but, daß es mich nach solchen Schlemmereien gelüstet. Ich will einen Ölkuchen, und mein Freund will auch einen Ölkuchen. Wir haben Hunger und müssen uns durch kräftiges Essen stärken; denn vielleicht schickt uns der Prophet auf eine sehr, sehr lange Reise.«
»Auf eine lange Reise? Wollt ihr vielleicht zur Heiligen Kaaba pilgern? Allah segne euch, daß eure Reise schnell und glücklich sei!«
»Ich danke dir für deine guten Wünsche; aber nun gib uns die Ölkuchen. Wir wollen essen.«
Der Händler brachte auf schmutzigen Tontellern das in Olivenöl schwimmende Gebäck. »Willst du vielleicht einen köstlichen, gebratenen Fisch dazu, Effendim?« »Nein, danke. Ich mag jetzt keinen Fisch.« »Du vielleicht?«, wandte sich der Händler jetzt an Ojo.
Ojo rollte mit den Augen. Er setzte die Daumen seiner beiden Hände an die Schläfen und wackelte mit den Fingern. Dazu stieß er kehlige Laute aus, die wie ein Glucksen klangen. Der Händler wich erschrocken einen Schritt zurück, stolperte dabei über einen in der Nähe stehenden Holztrog und fiel der Länge nach auf den schmierigen, fettig glänzenden Boden seines Basars. Ohne sich zu erheben, streckte er, auf dem Rücken liegend, beide Hände gegen Ojo aus und fragte mit entsetzten Blicken:
»Ist dein Freund verrückt? Hat er den Schejtan im Gehirn? Wie kann meine Frage, ob er Fisch essen wolle, solch gewalttätige Gesten auslösen?«
»Mein Freund und Begleiter ist leider vom Unglück geschlagen«, beantwortete Michel mit Leichenbittermiene die Fragen des Händlers. »Er ist klar bei Verstand, aber er kann weder hören noch sprechen. Er wollte dir lediglich durch Gesten beweisen, daß es sinnlos sei, Fragen an ihn zu richten, die er doch nicht versteht.«
»So führe ihn auf die Bank da hinten und heiße ihn sich niedersetzen, damit ich ungehindert aufstehen kann.«
Michel wollte erwidern, daß es solcher Vorsichtsmaßregeln nicht bedürfe, als er verwundert sah, wie der Händler mit der Behendigkeit eines Stehaufmännchens wieder auf die Füße kam. Der Dicke nahm aber von den beiden keinerlei Notiz mehr. Er wandte sich vielmehr mit nicht enden wollenden Bücklingen einem großen, düster blickenden Mann zu, der in diesem Augenblick den Basar betreten hatte.
Mit über der Brust gekreuzten Armen verharrte
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