Kerker und Ketten
noch immer den Verschlag auf dem Schiff inne, in den Ihr es selbst gebracht habt.«
»Hm---Das arme Tier tut mir leid. Es wurde bestimmt nicht geboren, um monatelang auf See herumzuschwimmen. Es ist Tierquälerei, es über Gebühr lange an Bord zu behalten.« Was Marina auch immer sagen mochte, sie erhielt stets eine negative Antwort. »Meine Piraten plündern übrigens die Schiffe nur noch aus und lassen sie dann weiterfahren, ohne die Menschen zu ermorden«, begann sie wieder.
»Aha! Und bei solch einer Plünderung habt Ihr wohl auch den jungen Hawbury mitgenommen, wie? Also doch keine Lebensrettungsgesellschaft.« »Ihr seid furchtbar!« brach es aus Marina heraus. Michel blickte spöttisch zu ihr hin.
»Erwartet Ihr vielleicht, daß ich »Hosianna« rufe, wenn Ihr nicht mehr mordet, sondern nur noch plündert? Nein, für solche Abstufung menschlicher Gefühle habe ich keinen Sinn. Ihr seid nicht anders geworden, seit wir uns zuletzt sahen.« Sie ballte die Fäuste.
»Ich kann es mir selbst kaum noch verzeihen, daß ich so verrückt war, Euch aus den Steinbrüchen zu retten.«
»Verrückt mögt Ihr immerhin sein. Aber sprecht Ihr wirklich von Errettung? Darf ich mir die Frage erlauben, wodurch wir in diese Situation gekommen sind? Mein Ziel war nicht Algier. Das wißt Ihr so gut wie ich.«
Sie kniff die Augen zusammen. Sollte sie ihren Trumpf bereits jetzt ausspielen? Eigentlich wollte sie damit noch bis zu einer günstigeren Gelegenheit warten. Sie hatte ursprünglich vorgehabt, ihm das Ergebnis ihrer Abrede mit Eberstein aus einer ruhigeren Perspektive heraus beizubringen, so, als wäre es eine unabwendbare Tatsache, für die nicht sie die Verantwortung trug. Sollte sie vielleicht diesen Moment dazu benutzen?
Ihre Hände wurden kalt. Sie sammelte sich. In plauderndem Ton begann sie:
»Ich bin eigentlich nicht gekommen, um Euch zu befreien, sondern um Euch eine Nachricht des Grafen Eberstein zu überbringen, der nun schon seit langem wieder in Deutschland ist.«
»Eberstein?« fuhr Michel auf. »Was wißt Ihr von ihm?«
»Ich begegnete der »Quebec« im Atlantik wieder. Leider wart Ihr nicht mehr darauf, sonst hätte ich mir die Mühe sparen können. — Bueno, ich versorgte das Schiff mit besseren Segeln«, log sie, »füllte die Wasserfässer auf und schickte es zurück nach Deutschland.« »Könnt Ihr mir nicht eine glaubhaftere Geschichte erzählen?« »Sie ist wahr.«
»Gott, Ihr solltet mich doch nun lange genug kennen, um zu wissen, daß ich aus Euerm Munde kein noch so schönes Märchen wahr finde.«
Hohn lag auf ihrem Gesicht. Ihre Augen bildeten einen schmalen Spalt.
»Dann werde ich Euch jetzt eine Geschichte erzählen, deren Echtheit Euch so echt vorkommen wird, daß sie gar nicht echter sein könnte.«
Michel horchte auf. Da war ein anderer Ton in ihrer Stimme, der alte Ton, den er so lange vermißt hatte, der Ton der Gräfin de Villaverde y Bielsa.
»Bien«, fuhr sie fort, »es ist eine Liebesgeschichte, wie Ihr sie nicht alle Tage hört. Sie wird Euch interessieren.«
»Liebesgeschichten aus Euerm Munde müssen scheußlich klingen«, sagte Michel. Aber seine Stimme war unsicher. Irgend etwas schwebte über ihm, das ihm die Ruhe nahm. Es war etwas, das er nicht definieren konnte, nichts Greifbares, eine Ahnung eher, eine Stimmung, eine — —
»Da mögt Ihr recht haben. Diese Liebesgeschichte wird jedoch in meinen Ohren lieblich klingen, so lieblich, wie ich selten einen Klang hörte. Ihr kennt doch ein gewisses Mädchen in Eurer Heimat mit Namen — — — wie war doch gleich der Name? — Diablo, ich kann deutsche Namen so schwer aussprechen. Ah, jetzt hab ichs, jawohl, Eck, Charlotte Eck heißt sie, nicht wahr?« Da war es.
Ein eisiger Schreck durchfuhr Michel. Was wollte diese Teufelin mit dem Namen des Mädchens, das ihm als das Liebste und Heiligste auf der ganzen Erde galt?
Langsam ließ er die Büchse sinken, die er gewohnheitsgemäß im Anschlag auf einem Ast in der Hecke liegen hatte.
»Wie kommt Ihr zu diesem Namen, Marina«, fragte er.
»Ach«, meinte sie leichthin, »ich habe noch in Lissabon einen Brief von meinem Freund Eberstein erhalten, in dem er mir mitteilte, daß er sich verheiratet habe, und zwar mit einer gewissen Charlotte Eck. Er bat mich, ihm seinen Segen dazu zu geben.« »Nein!« schrie Michel auf. »Nein! — Nein! Ihr lügt!«
Marina bekam es auf einmal mit der Angst zu tun bei diesem hemmungslosen Ausbruch. Sie hatte nicht erwartet, daß diese
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