Kerker und Ketten
verständnisvoll. Dann meinte er:
»Wie ist es möglich, daß ihr eine Frau mit euch herumschleppt, wenn ihr kein Geld habt? Verkauft sie mir. Idi werde euch eine gute Summe dafür zahlen.« Michel verlor für einen Augenblick die Fassung. »Verkaufen?« fragte er entgeistert.
»Nun ja«, Hamid zuckte die Schultern, »ich will euch nicht drängen; aber ich kann euch sagen, daß ihr in Marokko oder in Algier auch nicht viel mehr für sie bekommt als hier. Im Gegenteil, wenn ihr das Kostgeld für den langen Weg noch hinzurechnet, dann habt ihr eher einen Verlust zu erwarten.«
»Maschallah, hältst du uns für Mädchenhändler?« Abd el Hamid lachte.
»Bei Allah, vor mir brauchst du dich nicht zu verstecken. Ich erstatte in solchen Fällen keine Anzeige. Mir ist egal, wer sie erhält. Ich hätte euch eine anständige Summe gezahlt, und ihr hättet euch die Arbeit heute nachmittag ersparen können. — Nun, das ist eure Sache.
Bleiben wir also bei der ersten Abrede. Ich glaube fast, daß zwei Männer genügen werden. Du bist kräftig, und dein Gefährte wird auch etwas tragen können, nicht wahr?«
»Ja, ja«, sagte Michel. Er mußte sich erst einmal klarmachen, daß also hierzulande ein Mädchenhändler eine ganz alltägliche Sache zu sein schien. In den Augen eines Arabers tat es ihm also keinen Abbruch, wenn er zu dieser Kategorie Menschen gerechnet wurde.
Etwas Gutes jedoch hatte die Verwechslung für Michel. Man hielt ihn trotz seiner mangelhaften Sprache für einen Araber.
»Ich nehme deine Bedingungen an. Wir werden die Ware hereinbringen, obwohl ich verwundert bin, daß der Lieferant sie nicht vor deinem Hause absetzt.«
»Darüber brauchst du dir keine Gedanken zu machen. Das ist hier in Oran so üblich. Außerdem habe ich euch ja auch nicht gefragt, wer ihr seid, wohin ihr wollt und was ihr vorhabt. Eine Hand wäscht die andere. Kifkif.« [6]
»Schon gut, Abd el Hamid, wir werden dein Verlangen erfüllen. Nun unterrichte mich über die Einzelheiten.«
23
Michel hatte mit Ojo gesprochen. Steve Hawbury bekam Anweisungen, wie er sich zu verhalten habe, wenn unvorhergesehene Zwischenfälle eintreten sollten. Isolde schlief noch immer völlig erschöpft.
»Nehmt Ihr Euer Gewehr mit, Senor Doktor?« fragte Ojo.
»Ja, gib es her. Ich verberge es unter meinem Burnus. Mir scheint an der Sache etwas faul zu seih. Nun, wenn es darauf ankommt, werden wir uns verteidigen.« Ojo nickte und lud seine alte Steinschloßflinte.
Die Sonne neigte sich bereits nach Westen, als sie Sihdi-Bachr erreichten. Die Einwohner saßen auf der Straße herum und unterhielten sich wild gestikulierend und mit lautem Geschrei. Einige Männer hatten sich eine Art Backofen aus einem alten spanischen Brustpanzer gebaut. Ein Feuer brannte darunter, und in der Wölbung brodelte Öl. Darin schwammen Mehlkuchen. Jedesmal, wenn ein Kuchen fertig war, wurde er aus der »Pfanne« herausgenommen. Diese Dinger glichen unseren Mehlpfannkuchen. Sie wurden mit Tomatenstücken, Fleischresten und Grünzeug gefüllt, mit rotem Pfeffer und Unmengen Paprika scharf gewürzt, zusammengerollt, wobei das Ende mit einem Holzstäbchen an die Rolle geheftet wurde, und dann verkauft. Solche »Pasteten« heißen Cous-Cous [7] und gehören noch heute zu den nordafrikanischen Spezialitäten, die selbst auf den Hauptstraßen der großen Städte täglich feilgehalten werden.
Michel fragte einen der »Pastetenbäcker«, ob heute eine Reiterschar im Dorf angekommen wäre, die Säcke bei sich gehabt habe. Einige Knaben, die umherstanden und faul in die Sonne blinzelten, gaben schreiend Auskunft, und so fand er bald die Hanfhändler in der Hütte des Dorfältesten, wo sie es sich bei Reis und Hammelfleisch wohl sein ließen. Nachdem die beiden Ankömmlinge aufgefordert worden waren, sich zu einer Tasse Mokka und einer Wasserpfeife niederzulassen, verlangte der Anführer, die Papiere zu sehen, die zum Abschluß des Verkaufs nötig waren.
Michel, unkundig der arabischen Schrift und der arabischen Gepflogenheiten, gab sie ahnungslos aus der Hand. Der Mann nahm sie, betrachtete sie eingehend, schmunzelte dann zufrieden und ließ sie in den Weiten seines Hajk verschwinden.
Michel trank den heißen Kaffee, und Ojo rauchte eine Pfeife nach der anderen; denn beides, der Tabak und der Kaffee, waren ausgezeichnet. So wurde es später und später. Als noch ungefähr eine Stunde Zeit bis zum Einbruch der Dunkelheit war, forderte Michel den Anführer der Reiterkolonne auf, ihm
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