Kerker und Ketten
Sayd!« schrie der Flüchtende schon auf dem Wege; »sie wollen mich der Genüsse des siebenten Himmels berauben! Sie wollen mich verunreinigen! Oh, Sayd, hilf mir!«
Er riß die Tür auf und stand mitten im Schlafzimmer des müden Kaufmanns, den das Geschrei vollends wach gemacht hatte. Abd el Hamid lag gähnend auf dem Bett. Dann richtete er sich auf, griff neben sich und stülpte sich den Turban über den schlaftrunkenen Kopf. Denn ein guter Muslim zeigt sich auch seinen engsten Freunden nicht entblößten Hauptes.
Seine Blicke wandten sich erstaunt und mißtrauischdem Fremden zu, der hinter seinem Diener durch die Tür trat. »Was willst du?« herrschte er Michel barsch an.
»Dich sprechen. Hat dir das dein fauler Diener nicht gesagt?«
»Nimm deine Zunge in acht, verdammter Bettler!« rief der Kaufmann ungehalten. »Mach, daß du hinauskommst! Deine Anwesenheit belästigt mich und stört meine morgendliche Beschaulichkeit.«
Michel sah sich im Zimmer um. Dem Bett gegenüber stand ein Diwan. Er ging hin und ließ sich nach arabischer Sitte mit gekreuzten Beinen darauf nieder.
Abd el Hamid starrte ihn entgeistert an. Er war gewohnt, daß man seine Befehle und Wünsche unwidersprochen befolgte.
»Bist du verrückt, Mensch? Soll ich dir die Kurbatsch auf die Sohlen zu schmecken geben? Wer hat dir erlaubt, dich hier niederzulassen?«
Michel lehnte sich lässig an die Wand und betrachtete den Kaufmann seelenruhig. »Höre, Abd el Hamid, wenn du weiter so schimpfen willst, können wir nicht verständig miteinander sprechen. Ich-«
»Ich will nicht verständig mit dir sprechen. Ich will, daß du gehst, bevor ich dich vertreiben lasse. Ich hasse den Unfrieden in meinem Hause.« Michel rührte sich nicht.
»Ich brauche deine Hilfe, Hamid«, sagte er. »Du kannst Menschen, die sich in Not befinden, deine Hilfe nicht verwehren. Der Prophet würde es dir übel vermerken, wenn du — —«
Er wurde plötzlich von einer kreischenden Stimme unterbrochen. Der Alte, der aussah wie eine ausgequetschte Zitrone, kam in den Raum. Er schrie Zeter und Mordio.
»Ibn Hamid, das Licht meiner alten Augen, dein Sohn und mein Enkel, der Glanz unseres Hauses ist krank. Er liegt im Bett und stöhnt, und niemand kann ihm helfen.«
Da schien der Kaufmann mit einemmal die Gegenwart Michels zu. vergessen. Er sprang auf und starrte den Ahn erschrocken an.
»Hat er einen heißen Kopf?«
»Ja, ja, er hat einen heißen Kopf! Ach, die Lampe meiner Seele, die Freude meiner alten Tage wird sterben. Was hast du verbrochen, Hamid, daß Allah dich so schwer bestraft?«
Halef, der Diener, blickte seinen Herrn erschrocken an. War das schon ein Zeichen Allahs, daß er den Ungehorsamen, der in den Häusern der Christen verkehrte, strafte?
Hamid fuhr ihn an:
»Was stehst du hier noch herum, Elender! Hole den Hekim — — hörst du nicht, du sollst den Hekim holen! Sage ihm, ich bezahle jede Summe, wenn er meinen Sohn wieder gesund macht.« Als Halef den Raum verlassen hatte, setzte sich Abd el Hamid auf den Rand des Bettes und brütete vor sich hin.
Es währte immerhin eine gute halbe Stunde, bis der Hekim kam. Michel schauderte, als er ihn sah: ein dicker, listig dreinblickender Kerl, dem es wahrscheinlich mehr auf das Honorar als auf die Gesundheit des Patienten ankam. Zur Unterstreichung seiner Würde hatte er eine uralte, schmutzige Knochensäge an einem Band auf seinem vor Dreck starrenden Burnus hängen. »Salam alejkum«, grüßte er. »Wa alejkum 's salam«, erwiderte Abd el Hamid.
»Was für Beschwerden hat dein Sohn?«Michel staunte über die Art dieses Doktors, der den Vater nach der Krankheit des Sohnes fragte, anstatt den Kranken selbst zu untersuchen. »Wie kann ich das wissen?« meinte Abd el Hamid.
Der »Arzt« spielte mit der Knochensäge auf seiner Brust und fragte lauernd: »Wieviel wirst du mir für die Operation bezahlen?« »Meinst du, daß eine Operation nötig ist?« »Wahrscheinlich.«
Abd el Hamid wurde schreckensbleich.
»Wirst du — wirst du — dazu diese Säge gebrauchen?« stotterte er.
»Ja«, antwortete der Hekim mit pfiffigem Gesicht zu Michels maßloser Verblüffung. »Ich werde ihn auseinandersägen, um zu sehen, wo die Krankheit in ihm sitzt.«
»Au — aus — auseinandersägen, meinen Sohn auseinandersägen?« schrie der Vater entsetzt auf. »Wirst du ihn bestimmt auch wieder zusammenbekommen? Und werde ich dabei sein dürfen?« »Hab keine Angst«, meinte der Hekim mit einer Stimme, die wenig
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