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Kerker und Ketten

Kerker und Ketten

Titel: Kerker und Ketten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Guben
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Schritten auf den Hekim zu, der ihm mißtrauisch entgegenblickte.
    Als er dicht vor ihm stand, fragte er:
    »Willst du deine Behauptung, daß ich dieses Kind verhext habe, noch länger aufrecht erhalten?«
    »Allah kerim!« kreischte der Arzt. »Bringt diesen Kerl weg! Er will mich ermorden!«
    »Den Teufel werde ich tun, Mensch. Glaubst du wirklich, daß ich meine Hände mit deinem schmutzigen Blut beflecken würde? Nun, sag schon, habe ich ihn verhext, oder hast du vielleicht heute vormittag vergessen, den Patienten zu behandeln?«
    »Aber er hat ihn doch auseinandergesägt«, mischte sich Abd el Hamid ein.
    »Laß dich nicht auslachen«, gab Michel ihm zur Antwort. »Dieser Kurpfuscher hat deinen Sohn ebensowenig auseinandergesägt wie mich. Du tust mir leid, wenn du sein dummes Geschwätz für bare Münze nimmst.«
    »Was verstehst du schon von der Heilkunde!« fragte der Hekim frech.
    »So viel jedenfalls, daß ich dir sagen kann, was der junge Hamid hat. Aber ich möchte es gern von dir wissen. Also antworte! Sonst...« — er trat plötzlich noch einen Schritt dichter an den Kurpfuscher heran und riß ihm die Säge vom Hals — »werde ich dich hier vor den Augen dieses ehrenwerten Sayd auseinandersägen, daß dir Hören und Sehen vergeht.« Er packte den Arzt beim Burnus und hob die Säge hoch.
    »Waj!« schrie der, »wie kann ich wissen, was der Junge hat? Er hat Schmerzen. Das genügt.« Michel ließ den Mann fahren und fragte:
    »Willst du mir tatsächlich weismachen, daß du jemals auch nur eine Universität von innen gesehen hast, du Schwindler?«
    Der Scharlatan wurde ganz klein und häßlich.
    Michel wandte sich an den bleichen Abd el Hamid.
    »Vertraue mir deinen Sohn an. Wenn Allah will, werde ich ihn wieder gesund machen, sofern die Krankheit noch nicht allzu weit fortgeschritten ist.«
    Der Hekim, der sein Ansehen in Oran und damit seine einzige legale Geldquelle versiegen sah, protestierte heftig:
    »Wie kann ein Laie sich anmaßen, etwas von der Medizin zu verstehen. Ich werde —« »Du wirst gar nichts. Aber ich werde dir jetzt zeigen, wie man Kranke kuriert, die die Ruhr haben.«
    »Die Ruhr? Was ist das?« fragte der Kaufmann.
    »Man nennt sie hierzulande wohl auch den blutigen Durchfall. Als erstes brauche ich jetzt eine Schale mit Olivenöl.«
    Der Kaufmann, der durch Michels Sicherheit neue Hoffnungen schöpfte, rannte aus dem Zimmer und schrie den Diener an:
    »Hast du nicht gehört? Der Effendi braucht Olivenöl. Was stehst du noch hier herum?« Der Hekim drückte sich still in eine Ecke und sah aufmerksam zu, was Michel nun machen würde.
    Der Junge bekam heiße Umschläge auf den Leib gelegt. Das Öl sollte als Abführmittel wirken. Dann wurde Milch heiß gemacht, die er gegen den brennenden Durst alle paar Stunden zu trinken bekam.
    Mitten in der Nacht — der angebliche Arzt war schon seit geraumer Zeit nicht mehr im Hause — begann der eigentliche Durchfall. Alle Viertelstunde mußte sich der Kleine entleeren. Aber es kamen nur noch geringe Mengen Kot. Meistens war es blutiger Schleim. Des Kindes Kräfte nahmen zusehends ab.
    Gegen Morgen befahl Michel, gut kohlendes Holz zu verbrennen, aber nicht bis es Asche, sondern nur bis es verkohlt war. Dann schabte er von dem verkohlten Klotz die Kohle herunter, die in ein sauberes Gefäß fiel und wie schwarzes Pulver aussah.
    Im Laufe des folgenden Tages wich er nicht vom Lager des Kindes. Alle paar Stunden mußte der Junge einen Löffel Kohlenstaub schlucken. Tatsächlich besserte sich der Zustand mit Einbruch der zweiten Nacht. An sich hätte man Opium gebraucht, um den Magen und die Schmerzen zu beruhigen. Aber es war keines da.
    Jedenfalls verlangsamte sich der Stuhlgang noch während der nächsten Stunden. Gegen Mittag schlief der kleine Hamid ein. Seine ruhigen Atemzüge verrieten, daß die Krisis überstanden war. Michel verließ das Zimmer.
    Im Selamlik [8] saß der Vater und stierte angstvoll vor sich auf den Boden. Jetzt mußte Michel auch einmal wieder an sich und seine Freunde denken.
    »Was gibst du mir, Abd el Hamid, wenn dein Sohn binnen weniger Tage wieder gesund ist?« Die Augen des Kaufmanns strahlten plötzlich.
    »Bei Allah, wirst du es schaffen? Bist du sicher, daß Hamid nicht sterben muß?«
    »Ich weiß, daß nun alles in Ordnung ist. Aber willst du mir nicht sagen, welchen Lohn ich bekommen werde?«
    Abd el Hamid, der jetzt fest glaubte, daß die unmittelbare Gefahr vorüber war, meinte listig: »Darüber sprechen

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