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Kerker und Ketten

Kerker und Ketten

Titel: Kerker und Ketten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Guben
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an.
    »Maschallah«, schrie einer entsetzt, »dieses Gewehr hat der Schejtan gebaut. Es schießt immerfort. Oder habt ihr ihn laden sehen?«
    »Ich kann hundert damit erschießen«, sagte Michel gelassen. »Ihr scheint mich für sehr dumm zu halten.«
    »Sayd«, meinte der Anführer jetzt versöhnlich, »stehst du für dauernd in den Diensten des Kaufmanns Abd el Hamid?«
    »Das geht dich nichts an. Jetzt gib die Papiere heraus, los — ich zähle bis fünf —« Der Anführer warf ihm einen haßerfüllten Blick zu, und die Papiere flatterten auf die Erde. Eine Weile ließ Michel verstreichen. Dann stieß er einen Pfiff aus, der für Diaz Ojo bestimmt war. Nach wenigen Sekunden hörte er einen gleichen Pfiff von draußen. Das hieß soviel wie: Es ist alles in Ordnung. Wir können reiten.
    Schritt für Schritt wich Michel rückwärts aus der Hütte, ohne seine Widersacher aus den Augen zu lassen. Ojo war bereits aufgesessen.
    Michel sprang in den Sattel. Dann jagten sie mit der Last der sechs Ballen davon. Immer wieder spähten sie nach rückwärts. Aber ihre Gegner schienen keine Lust zu einer Verfolgung zu haben. Unbehelligt erreichten sie die Stadt und das Haus, in dem sie Gastfreundschaft genossen. »Vielleicht gibt uns Abd el Hamid auch ein paar anständige Kleidungsstücke, wenn wir ihm seine Quittungen mitsamt dem Hanf bringen. Möchte überhaupt wissen, was sie hier mit dem Hanf machen, Stricke vielleicht oder Hanföl? Aber dazu erscheint er mir zu trocken«, sagte Ojo. Michel nickte.
    »Ich habe mir auch schon darüber den Kopf zerbrochen. Aber was geht es uns an! Wir haben unseren Auftrag erfüllt und sogar noch etwas mehr. Vielleicht sind ihm die Quittungen einige alte Kleider wert.« —
    Sie sollten gar nicht dazu kommen, mit dem Kaufmann über Kleider zu verhandeln. Halef, der Diener, rief ihnen aufgeregt entgegen:
    »Werft die Säcke in den Stall! Und dann verdrückt euch! Das ganze Haus ist in Aufruhr. Der Hekim gibt dir die Schuld, daß Ibn Hamid wahrscheinlich wird sterben müssen!«
    »Mir gibt er die Schuld? Du träumst wohl! Weshalb sollte ich Schuld haben an der Verschlimmerung seines Zustandes, da ich ihn doch gar nicht behandeln durfte?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Halef hastig, »mir ist es auch gleichgültig. Jedenfalls stirbt er, und das genügt, um den Herrn für Wochen hinaus in schlechte Laune zu versetzen.«
    Michel dachte eine Sekunde nach. Dann meinte er zu Ojo:
    »Nimm die Pferde, halte dich bereit und sage den Geschwistern, sie sollen ebenfalls satteln. Wir müssen imstande sein, jede Minute zu fliehen. Was ich dazu tun kann, daß wir heil aus dieser Situation herauskommen,das werde ich tun. Hier, nimm mein Pferd mit, füttere es und gib ihm zu saufen.«
    Er sprang aus dem Sattel, steckte seine Büchse wieder unter den Burnus und eilte dem Diener ins Haus nach.
    Hier herrschte wirklich große Aufregung. Alles rannte wild durcheinander. Der alte Ahn mit der krächzenden Stimme keifte ein paar Leute an. Halef stand vor der Tür des Krankenzimmers und wartete auf das Erscheinen seines Herrn, der jeden Augenblick herauskommen mußte. Sogar eine tiefverschleierte Frau, wahrscheinlich die Mutter des Jungen, tauchte auf, wurde aber schimpfend von dem Alten wieder in den Harem geschickt. Hier war der Sohn des Hauses krank und nicht etwa ein Mädchen. Also hatten die Bewohner des Harems nichts dabei zu suchen. Michel fragte den zitternden Diener: »Ist Abd el Hamid drinnen?«
    »Ja«, stöhnte dieser erschrocken, als er sah, daß der Pfeifer Anstalten machte, die Tür zu öffnen.
    »Du darfst nicht hinein. Man hat mir streng verboten, jemanden einzulassen.«
    Michel schüttelte die Hand des Dieners von seinem Arm und trat ein.
    Die beiden Männer, die dort über das Lager des Jungen gebeugt standen, fuhren herum und starrten den unerwarteten Gast wütend an.
    »Schejtan«, schrie der Hekim. »Das ist ja der Wicht, der deinen Sohn verhext hat, Hamid. Jage ihn hinaus.«
    Der Kaufmann, dem das Weinen näher als der Zorn war, schrie schluchzend:
    »Was willst du hier, du Hundesohn, der du meine Gastfreundschaft so mißbraucht hast? Kannst du mir meinen Sohn wieder lebendig machen? Allahs Zorn über dich und deine Verwerflichkeit!«
    Michel sagte nichts. Dem Kaufmann zürnte er nicht. Er war trotz aller Gerissenheit in geschäftlichen Dingen doch nur ein unaufgeklärter Orientale, der vor jedem, der in Istanbul studiert hatte, einen gewaltigen Respekt besaß.
    Michel ging langsam, aber mit festen

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