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Kerker und Ketten

Kerker und Ketten

Titel: Kerker und Ketten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Guben
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bis sie vom eintönigen Dienst abgelöst wurden. Dann gingen die nächsten auf und ab, ab und auf, auf und ab.
    Michel sah sich die Mitgefangenen an. Es waren verkommene Gestalten aller Nationalitäten. Sie saßen oder lagen herum, schliefen oder dösten vor sich hin und machten einen hoffnungslosen Eindruck.
    Michel fragte einen Weißen: »Weshalb hat man Euch eingesperrt?«
    Der sah ihn mit glanzlosen, leeren Augen an, in denen der Stumpfsinn lag.
    »Weiß nicht«, antwortete er kurz. »Wahrscheinlich war ich betrunken. Da haben sie mich einfach mitgenommen.«
    Er wandte sich wieder ab und stierte weiter auf die Erde. »Seid Ihr schon lange hier?« fragte Michel wieder.
    »Weiß nicht. Vielleicht ein halbes Jahr, vielleicht auch ein ganzes, weiß nicht.« »Hat man Euch denn nicht verurteilt?« »Weiß nicht.«
    »Diablo, Ihr müßt doch wissen, ob Ihr bereits an einer Gerichtsverhandlung teilgenommen habt oder nicht! Gebt mir doch eine vernünftige Antwort.«
    »Gerichtsverhandlung?« Er lachte. »Hier hat noch nie jemand an einer Gerichtsverhandlung teilgenommen.«
    »Por Dios, Ihr müßt doch vernommen worden sein! Man kann Euch doch nicht, nur weil man Euch einmal betrunken aufgefunden hat, ein halbes oder ein ganzes Jahr hier im Gefängnis lassen!«
    »So, kann man nicht? Na, du wirst es schon sehen. Hier fragt kein Mensch nach dir.Freilich, manchmal kommt ein Kapitän, der nimmt dann einen Schub Gefangener mit. Aber wohin, das weiß kein Mensch.«
    »Und es gibt keine Möglichkeit, hier auszubrechen?«
    »No, das Gitter wird nur geöffnet, wenn Neue kommen und wenn wir morgens die Koteimer hinausschaffen müssen.« »Arbeiten müßt ihr nicht?«
    »Arbeiten? Nein. Was soll es in Oran schon für Arbeit geben? Du sitzt hier in dem Käfig, bis dich entweder dieser Kapitän oder der Teufel holt.«
    »Das heißt also, daß noch niemand, der hier hereingekommen ist, wieder entlassen wurde?« »Seit ich hier bin, nicht.« Michel erhob sich und trat an das Gitter. Das erste Grau des Tages kam herauf. Leichter Regen fiel. Bald bildete er einen grauen Vorhang, durch den man höchstens noch zehn Schritte weit sehen konnte.
    Es mochte etwa acht Uhr sein, als ein paar Soldaten kamen und Brot und Wasser brachten, das durchs Gitter gereicht wurde. Dann kümmerte sich für Stunden kein Mensch mehr um die Häftlinge. Gegen Mittag kamen zehn Soldaten, bildeten Spalier. Ein Korporal schrie: »Scheißeträger rrrrraustreten!«
    Zehn Gefangene nahmen die fünf zum Überlaufen vollen Eimer auf. Zwei trugen immer einen Eimer. Sie hielten vorsichtig das Gleichgewicht, damit sie nichts verschütteten; denn es gab weder Wasser noch Besen noch Schaufeln zum Reinigen des Verlieses. Michel würgte es in der Kehle. Er stellte fest, daß er während der letzten Tage überhaupt viel empfindlicher geworden war. Zuversicht und Lebenskraft waren nicht mehr die gleichen. Seine Spannkraft hatte nachgelassen. Seit er mit seinen Freunden aus den Steinbrüchen von El Mengub geflohen war, hatte es bisher noch nicht ein einzigesmal die Möglichkeit gegeben, sich wirklich auszuruhen und — wenn auch nur für Stunden — einmal ein menschenwürdiges Dasein zu führen. Bitterkeit stieg in ihm auf, wenn er daran dachte, wie Abd el Hamid ihn zum Dank für die Rettung seines Sohnes behandelt hatte. Auch das Verhalten des jungen Hawbury warf einen dunklen Schatten auf die Erinnerung an die letzten Tage.
    Er spürte das Gefühl der Gleichgültigkeit und Hoffnungslosigkeit wie etwas Wesenhaftes in sich emporkriechen. Langsam, müde fast, ging er vom Gitter weg und steuerte auf eine der hinteren Ecken des Gefängnisses zu. Je tiefer er in die Höhle eindrang, um so dunkler wurde es um ihn. Als er das Licht nur noch wie einen Schimmer wahrnahm, setzte er sich auf den feuchten, kalten Boden und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. Plötzlich ging ein Ruck durch seinen Körper.
    Nein, hier in diesem Loch sollte sein Weg nicht enden. Dann hätte er ebensogut im Kerker des Landgrafen bleiben können. Er stemmte sich wieder hoch. Wenn seine körperliche Spannkraft nicht mehr genügte, somußte der Geist über die Schwäche des Körpers siegen. Wille ist alles. Mit festen Schritten ging er wieder nach vorn zum Gitter. »Hola, companero!« rief er einen der wachenden Soldaten an.
    Doch der kümmerte sich nicht darum. Er ging stur seine zwanzig Schritte hin und seine zwanzig Schritte zurück wie eine Maschine.
    »He!« brüllte Michel jetzt mit der ganzen Kraft

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