Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kerker und Ketten

Kerker und Ketten

Titel: Kerker und Ketten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Guben
Vom Netzwerk:
wütend, »so hat mich der Kerl betrogen, mich, seinen Herrn!« Er sprang auf, riß die Tür auf und schrie laut durch die Stille des Hauses: »Halef, du Lumpenkerl, he, Haaaalef! Sofort kommst du her!«
    Im Haus erwachte Leben. Es dauerte eine Weile, bis Halef schlaftrunken ins Zimmer taumelte. Er wurde aber sofort hellwach und stieß einen Schrei des Schreckens aus, als er den nächtlichen Besucher erkannte.
    »Du Hund, du hast mich belogen!« schrie ihn Hamid an. »Du hast behauptet, daß es dir nicht gelungen sei, dem Fremden das Geld wieder abzunehmen. Aber Allah weiß, daß das eine Lüge war. Wo ist der Beutel? Her damit, du Sohn einer Wildsau! Es ist mein Geld, das du gestohlen hast!«
    Michel war über soviel Unverfrorenheit sprachlos. Der Kaufmann gab mit seinen Worten in offener, schamloser Weise zu, daß er der Anstifter des Verbrechens war, und verlangte nun gar noch die Summe von seinem Diener in Gegenwart des Bestohlenen. Es war unfaßlich. Halef sank in sich zusammen. Kleinlaut gab er seine Tat zu. Hamid trat nach ihm. Seine Wut steigerte sich zur Raserei, bis Michel, den die beiden vollkommen vergessen zu haben schienen, der Prügelei ein Ende setzte. Er packte Hamid beim Genick und fuhr ihn an:
    »Es ist mir gleichgültig, was du mit deinem Diener tust. Verprügeln kannst du ihn später. Auf alle Fälle bist du der Anstifter gewesen. Du hast einem Untergebenen den Befehl erteilt, einen Gastfreund hinterlistig zu überfallen. So kommt die Schuld auf dein Haupt. Ich wiederhole nochmals: wenn ich nicht in zehn Minutenmein Geld wieder habe, dann wird dein Sohn schwer erkranken.«
    »Ich habe nicht soviel Geld«, versuchte der andere auszuweichen.
    »Laß dir den gestohlenen Beutel von deinem Diener wiedergeben. Aber beeil dich, ich habe nicht mehr viel Zeit.«
    »Hol den Beutel«, befahl Hamid.
    »Das — das — kann ich nicht, Sayd.«
    Hamid schlug auf ihn ein. Er fand keine Ausdrücke mehr, um ihn zu beschimpfen. Deshalb spielte sich die Prügelei wortlos ab.
    »Hast du noch nicht genug? Soll ich dir die Bastonnade geben lassen, bis dir die Haut in Fetzen von den Fußsohlen fällt?«
    »Ich kann nicht, weil ich das Geld nicht habe, Sayd«, stieß Halef hastig hervor. In einem Sturzbach von Worten erzählte er den Hergang nach dem Raub, verschwieg aber wohlweislich den Anteil, den er dem Herrn der Berge abgegaunert hatte.
    Dem Pfeifer wurde die Sache zu dumm. Hier konnte man beim besten Willen nicht mehr auseinanderhalten, was Lüge und Wahrheit war.
    »Mir ist es gleichgültig, Hamid«, schaltete er sich ein, »wer wen betrogen hat. Ich verlange das Geld von dir zurück, da ich weiß, daß du der Schuldige bist. Wie du dich mit deinem Diener einigst, ist deine Sache. Beschaffe das Geld, oder ich mache meine Drohung wahr.« »Du kannst ein Kind doch nicht entgelten lassen, was der Vater getan hat«, klagte Hamid. »Kommst du mir so?«
    »Bei Allah, du kannst doch nicht ein solcher Unmensch sein!«
    Michel hieb ihm die Faust auf die Schulter, daß er zusammensackte, und tat, als wollte er sich zur Tür wenden.
    »Halt!« schrie Hamid entsetzt, »tu's nicht! Ich gehe das Geld holen.«
    Mit wankenden Schritten verließ er das Zimmer. Halef folgte ihm. Er hatte keine Lust, in der Nähe eines Menschen zu bleiben, der die Fähigkeit hatte, anderen Menschen Krankheiten auf den Hals zu schicken.
    Es war Michels großer Fehler, daß er Halef nicht zurückhielt.

32
    Michel ließ sich auf den Diwan nieder und starrte vor sich hin auf den Boden. Wie immer in seinen Mußestunden oder -minuten, gingen seine Gedanken übers Meer, dorthin, wo die unerreichbare Heimat lag. Meist, wenn wirklich mal eine Pause eintrat, nutzte er diese, um zu schlafen und um neue Kräfte zu sammeln. Aber wenn er nicht schlafen durfte, sondern wachen mußte, um sich nicht etwa überrumpeln zu lassen, dann dachte er. Und das Sinnieren machte ihn nicht gerade zuversichtlicher. Oft fragte er sich, ob die Ideen der Freiheit und der Menschenwürde es wirklich wert waren, daß man so um sie litt, daß man die unglaublichsten Schwierigkeiten auf sich nahm, um sie nicht aufgeben zu müssen.
    Seine lange abenteuerliche Fahrt hatte ihm gezeigt, daß die Menschen eigentlich überall auf der Erde gleich waren, wenigstens in der alten Welt.Er legte sich auf dem Diwan zurück und lehnte den Kopf gegen die Wand. Er war jetzt völlig entspannt. Da — endlich öffnete sich die Tür, und Harnid erschien. »Bei Allah«, sagte er, »ich habe mein

Weitere Kostenlose Bücher