Kerrion 3 - Traumwelt
leuchteten in unwirklicher Perfektion, als hätte sie ein japanischer Zen-Meister aus blendendweißem Papier gefaltet. Der junge Ehemann hatte kein Auge für Details. Er staunte, wie krachend neu dies vorher verwahrlost erscheinende Quartier unversehens aussah. Die Frau des ukrainischen Sohnes hatte sich unterdessen in der Küche beschäftigt und dort jeden Topf mit Sand gescheuert. Die Küchenschränke klebten nicht mehr, die Töpfe waren so angeschlagen und verbeult wie zuvor, aber von dem bräunlichen Fettfilm befreit. Der Herd und der Eisschrank, beides geradezu ehrwürdige Stücke - der Eisschrank gelegentlich laut brummend und dann plötzlich mit einer Art Schluckauf in Schweigen fallend -, waren aus dem Zustand der Unberühr-barkeit in neue Brauchbarkeit gehoben. So traulich, wie in dem Eisschrank, den der junge Mann jetzt überprüfend öffnete, das Lämpchen leuchtete, würde man gern sofort ein paar Flaschen hier hineinlegen. Der Äthiopier im Parterre hatte noch geöffnet. Der junge Mann lud die Ukrainer, die Männer und die Frau, zu einem Glas dort unten ein. Nach stummem Blickaustausch zwischen den dreien wurde dies auch angenommen.
In der Stunde, die Hans mit seinen ukrainischen Hilfstruppen oben unterm Dach zugebracht hatte - es lag aber noch ein niedriger Speicher über der Wohnung, ganz ungehemmt prallte die Sonne nicht auf sie herab in der weißen Welt, die Kühle suggerierte, auch wenn einem bei ihrem Anblick der Schweiß herunterrann, war der Stehimbiß des Äthiopiers gleichsam umgewendet worden. Nach vorn zur Straße hin hatte der Mann einen eisernen Rolladen herabgezogen, dafür aber standen im Hof nun ein paar Klappstühle, und der Äthiopier holte für die Gäste, die sich hier niedergelassen hatten, die Flaschen durch die Hintertür seines Geschäftes. Das war eine Improvisation des Sommers. Die Polizei hätte vermutlich et--was dagegen gehabt, daß hier nun nicht mehr bloß gestanden, sondern nach Ladenschluß sogar gesessen wurde, aber da waren sich die Versammelten einig: Wenn wirklich ein Polizist um die Ecke gebogen wäre, hätte man die Zusammenkunft als private Feier bezeichnet.
»Nein, niemals kommt die Polizei«, hörte man Souad eifernd und rücksichtslos laut ausrufen, als wolle er die uneingeschränkte Sicherheit des Arrangements herausfordernd demonstrieren. Er selbst vermiete schließlich den Polizisten des Reviers den Kleinbus zu ihrem Betriebsausflug. Die Beamten seien ohnehin froh, in einem derart schwierigen Revier Stützpunkte der Verläßlichkeit zu wissen. Der Äthiopier war ein noch jüngerer Mann mit sehr heller, gelber Haut und einem Gesicht von etwas wächserner, lebloser Ebenmäßigkeit; er entsprach gewiß einem Schönheitsideal seiner Heimat. Er lächelte, aber er war so verschlossen, daß nicht klar wurde, ob dieses nächtliche Hinterhoftreiben aus einer eigenen geschäftlichen Initiative hervorgegangen war oder ob er auf Befehl Souads handelte. Er trank keinen Tropfen Alkohol und lächelte immer nur abwesend und etwas fahl, wenn er neue Flaschen herbeischaffte und die leeren verschwinden ließ. Auf die im Hof inzwischen herrschende rauschende Konversation ließ er sich nicht ein. Es war nicht deutlich, ob er überhaupt folgen konnte - das klärte sich aber in den folgenden Tagen, sein Deutsch war hinreichend.
Ein Teil des Hofes war von der weißen Bogenlampe der Straßenbeleuchtung in hartes, helles Licht getaucht, die andere Hälfte lag in einem davon scharf abgegrenzten, noch dunkler wirkenden Schatten. Der Mond am Himmel, schon abnehmend, strahlte wie ein Scheinwerfer. Man meinte die Mondgebirge mit den Augen gleichsam abschreiten zu können. In alten Schwarzweißfilmen sprach man bei Szenen, die in Dunkelheit spielten, aber im hellen Schein der Projektoren gefilmt werden mußten, von einer »amerikanischen Nacht«, und einer Filmaufnahme glich dieser Kreis auf den Klappstühlen tatsächlich, allerdings nicht einer Szene mit Schauspielern, sondern einer Runde von Gehilfen, die bei Filmaufnahmen stets zahlreich zugegen sind, dort gewiß auch benötigt werden, aber die meiste Zeit doch wartend und schwatzend und Bierflaschen kreisen lassend zubringen müssen als irregulärer Landsknechtshaufen, dessen Pflicht darin besteht, sich zur Verfugung zu halten, wenn schließlich die Trompete geblasen wird.
Souad war der Herr dieser Versammlung, wie sich herausstellte, ein Despot, der die Ukrainer und Hans weniger willkommen hieß, als daß er sie im Befehlston zum
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