Kerrion 3 - Traumwelt
unmittelbar von einem der unermeßlich großen galizischen Kartoffeläcker geholt, die gegenwärtig die Wohnung im vierten Stock »weißelten«, wie man in Süddeutschland sagt, und tatsächlich klatschten sie einfach ein paar Eimer weiße Farbe auf die Wände - stammten aus Souads Fundus. Sowie der Mietvertrag unterschrieben war - Souad unterzeichnete für den Hauseigentümer, er war auch hier »trésorier« -, rief er noch in Hans’ Gegenwart schon diese beiden Männer an, und zwei Tage später war die Wohnung bezugsfertig. Als Hans dann aber daranging, Ina auf die neue Wohnung vorzubereiten, war ihm unversehens nicht ganz wohl zumute.
»Wir hätten eine Wohnung«, sagte er beim nächsten nächtlichen Telephonat - Frau von Klein kehrte üblicherweise spät von ihren Einladungen zurück, denn die begannen dort im Süden auch spät, was ihr sehr zusagte, sie liebte es nicht, sich zu beeilen - »Was heißt das?« fragte Ina mit ihrer glockenhellen Arglosigkeit, »wir hätten sie - haben wir sie?«
»Wir haben sie im Grunde.« Jetzt, wo alles unterschrieben war und die Ukrainer treuherzig und wohlgelaunt ihre Leitern und Bürsten das enge Treppenhaus hinaufschleppten, war ihm wirklich etwas blümerant zumute.
»Wir brauchen nicht lange dort zu wohnen, es ist ein Provisorium.«
Er verlegte sich auf ein männlich-beherrschtes Jammern. Neben der Büro-Arbeit in dieser heißen Stadt eine Wohnung zu suchen, habe ihn an den Rand seiner Kräfte gebracht. »Wäre ich allein, hätte ich die Wohnung nicht genommen.« Das stimmte nicht. Was ihm jetzt Sorgen machte, war nur Inas Miene, und so unterlief ihm mitten in seiner flitterwöchneri-schen Verliebtheit bereits der schäbige kleine Versuch, ihr ein Stückchen Schuld zuzuschieben, wenn sie von seiner Entscheidung enttäuscht sein sollte. Diese moralische Fragwürdigkeit war aber ausschließlich der Hitze zuzuschreiben. Wie Wein und Apfel ist auch eine strikte Moral von gemäßigtem Klima abhängig.
Sie fand sofort den richtigen Ton, um ihn zu besänftigen. »Ich vertraue dir vollkommen, du hast in jedem Fall alles richtig gemacht.« Am Telephon klang ihre Stimme zwitschernd. Sie kitzelte ihn regelrecht im Ohr.
Beim nächsten Anruf hatte sie, so weit sie vom Kampfplatz auch entfernt war, für den gemeinsamen Anfang dennoch etwas geleistet. Frau von Klein habe eingewilligt, alles was da in Kartons gegenwärtig noch in den Keilern und Speichern und Garagen ihres Hauses von der Hochzeit ausruhte - es waren auch ein paar schöne alte Möbel und Bilder darunter -, dort ruhig noch eine Weile zu belassen. Es müßte jetzt gar kein regelrechter Umzug stattfinden. Ina komme mit ein paar Koffern. Möbel seien doch schon da, habe er gesagt. Und was fehle, werde in einem großen Abhollager besorgt und später, wenn sie auszögen, weggeworfen. Sie klang geradezu vergnügt bei dieser Neuigkeit. Ina war weiß Gott nicht unempfindlich für den Reiz von teurem und exquisitem Hausrat und hatte ihre Anteilnahme an der Fülle schöner Sachen, die sich rund um die Hochzeitszeremonie angehäuft hatten, kaum verborgen. In die Nüchternheit, mit der sie darüber Buch führte - nur um sich bei allen bedanken zu können, natürlich -, mischte sich eine feierliche Gespanntheit, die die Augen glitzern ließ. Um so beglückender war für ihren jungen Ehemann, der dies alles aus dem Augenwinkel durchaus bemerkt hatte, daß sie nun fähig sein wollte, ihren Hochzeitsdrachenhort, jedenfalls für eine Weile, hinter sich zu lassen und mit ihm noch einmal unbeschwerte Wochen der Besitzlosigkeit auszukosten. Die Rede des Kollegen von »Bett und Badewanne«, die ihm als Inbegriff des Notwendigen nicht aus dem Kopf ging, hatte, wie ihm jetzt erst in den Sinn kam, auch einen erotischen Unterton. Warum nicht? Ein gemeinsames Leben, das zwischen Bett und Badewanne pendelte, etwas anderes wäre, zumindest für den Augenblick, doch gar nicht wünschenswert.
*
Es war spät, als der junge Mann die Arbeit der Ukrainer abnahm und die beiden bezahlte. Es war dort oben in der Wohnung, als sei eine Woge weißer Dispersionsfarbe durch die Räume und den Korridor geschwappt. Auf dem dunklen Linoleum des Flurs und auf dem Holzboden des großen Zimmers - das Hans bereits Wohnzimmer nannte - leuchteten weiße Spritzer wie Gischtflocken. Wenn sie ganz trocken seien, könne man sie leicht mit einem Messer abkratzen. Die Männer, Vater und Sohn, wie sich jetzt herausstellte, waren maßvoll in ihrer Forderung. Die Räume
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