Kerrion 3 - Traumwelt
Verkäuferin in einer Boutique oder eine Studentin der Zahnmedizin; man benötige auch keine anrüchigen Quartiere mehr, denn man telephoniere sich schnell zusammen - ihm fielen wohl Abdallah Souads Geständnisse ein -, bald gehörten die Prostituierten ohnehin zu den
Lebenshilfeberufen, wie therapeutische Masseure oder Psychotherapeuten. Die ganze Vorstellung von schlechten Vierteln und gefährlichem Publikum, von rotem Licht und Ver-stohlenheit sei gestrig, in der Realität kaum mehr aufzufinden. Was es in dieser Hinsicht noch gebe, müsse geradezu unter Denkmalschutz gestellt werden wie andere aussterbende Berufe. Dachte er da an die Schweden-Reise mit Ina, als sie in einem Museumspark der wettergegerbten Samländerin beim Besticken eines Robbenfells zugesehen hatten?
»Meinst du, du könntest das der Mama erklären?« fragte Ina. Keine Ironie schwang in dieser Frage mit. Sie versuchte sich wirklich vorzustellen, wie solche Argumente auf ihre Mutter wirken müßten.
Jetzt hätte die Einweihung der Wohnung gefeiert werden können. »House-Warming-Party« wurden solche Feste in Hans’ amerikanischer Bank genannt, aber die Vorstellung, den heimischen Herd mit Fest und Opfer zu installieren, ist uralt. Den kleinen Geistern, die mit einem bestimmten Ort verbunden waren, mußte auf eine ihnen verständliche Weise mitgeteilt werden, wer jetzt hier wohnen werde und wer dabei nicht gestört, sondern geschützt und gefördert werden solle. Das Fest als die stilisierte Hochform des Lebens bereitete den Ort für den zukünftigen Alltag vor. Hans und Ina hätten sich, wenn sie um Gäste verlegen gewesen wären, jede beliebige Zahl davon aus anderen deutschen Regionen kommen lassen können, und auch der ratgebende, vorbildlich unabhängige Sports-mann aus dem Büro wäre gewiß ein guter Konvive gewesen - auf die Versammlung im Hinterhof hätte gar nicht zurückgegriffen werden müssen -, aber es war ihnen beiden nicht nach Feiern zumute. Der richtige Augenblick dazu war verpaßt. Die Rückkehr von Ina, von ihnen beiden so heiß erwartet, hatte zwar stattgefunden, aber nicht richtig geklappt; so hätte es ein Filmregisseur, der zugleich Lebensregie betrieb, vielleicht ausgedrückt und Ina vielleicht einfach noch einmal abreisen und noch einmal ankommen lassen.
Dazu kam, daß Hans vom Büro ungeachtet der sommerlichen Ferienzeit hart herangenommen wurde, was ihn eigent--lich nicht belastet hätte, jung und gesund und hoffnungsfroh, wie er war. Wäre ihm von Ina sofort ein schneller Rhythmus abverlangt worden, er hätte sich ihm mit Freuden unterwor--fen, aber nun war sie nachdenklich, wollte nicht ausgehen, litt unter der Hitze, hatte auch immer noch mit der Wohnung zu tun, und so ließen sie denn diese Zeit still angehen, und es kam ihnen sogar vor, als sei das jetzt ganz angemessen und anderes gar nicht wünschenswert. Wenn das Pulver naß geworden ist, ärgert sich nur der darüber, der gerade damit schießen wollte. Wer nicht schießen will, bekommt es gar nicht mit.
Die Morgende enthielten während dieser nicht abreißenden Hitzeperiode jedesmal die Verheißung, der Tag könne die Schönheit und Milde der frühen Stunden noch ein wenig länger bewahren. Hans schlief beträchtlich kürzer als im Winter. Wenn die Sonne aufgegangen war, schlug auch er die Augen auf obwohl Ina im Schlafzimmer schwarze Rouleaus angebracht hatte, die das Licht ausschlossen. Sein Körper wußte dennoch, wann es draußen hell war. Er stand leise auf, ließ Ina in tiefem Schlaf zurück und legte sich im von bläulich-rosigem Morgenlicht wie ein Wasserbehälter schimmernden Wohnzimmer auf das neue Sopha. Wenn er das Fenster öffnete, kam ein leichter Wind herein, der am Tag ganz verschwinden würde, wie sich auch das aprikosenhafte Glühen des Sonnenlichtes bald in hartes, farbschluckendes Weiß verwandelte. Hans nahm ein Bad in diesem Licht, als könne er sich für den ganzen Tag darin erfrischen.
Dann begann er sich fertigzumachen. Das geschah sorgfältig und ohne Eile. Die Männer in seinem Büro pflegten eine gewisse Eitelkeit. Zu den dunklen Anzügen, die jetzt bei der Hitze allerdings hauchdünn sein durften - so dünn, daß der Stoff nicht mehr richtig fiel und den Körper hemdartig umflatterte -, wurden stark gestreifte Hemden getragen, Krawatten durften bunt wie Ostereier aus dem Westenausschnitt herausblitzen, die Hosenträger mußten breit und aus bunter Seide sein. Er war, möglicherweise aus einer gewissen Schüchternheit heraus,
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