Kerrion 3 - Traumwelt
den Mülltonnen. Hans dankte ihr. Es war eine Art Vertraulichkeit zwischen ihnen entstanden, weil sie zusammen gelacht hatten. Diese Begegnung paßte zu dem jungen Morgen. »Ich werde heute Glück haben«, dachte er, als er der Bank zustrebte und sich in das Heer der dunkel Gewandeten eingliederte.
Glück hatte er nicht gerade, das wäre zuviel gesagt, aber es war ein Tag, an dem die Arbeit flüssig lief, denn das Schicksal schien zu wissen, daß er heute mit seinen Hosenträgern an keinem Haken hängenbleiben werde. Als er nach Hause kam, fand er Ina am Telephon. Sie lag auf dem Sopha und war tief in eine Konferenz mit Frau von Klein versunken. Nein, ein Glas mit den Leuten unten trinken konnte sie jetzt nicht, sie war auch nicht angezogen. Müsse das unbedingt heute sein? Hans fand, daß es heute sein müsse, die Verabredung war zu leichthin getroffen worden, um durch Verschiebung dann nicht zu etwas Komplizierterem, weniger Improvisiertem zu werden. Er legte sein Bankornat ab und zog ein Polohemd an, aus dem Eisschrank nahm er eine beschlagene Flasche Weißwein.
An der Tür unten standen zwei Namen: Lilien und Wittekind. Wer von beiden war die Frau? Eine Schauspielerin erwartete gewiß, daß man ihren Namen kannte. Hans ging nicht gern ins Theater. Ihm war bei den heftigen, die Schauspieler und die Zuschauer nicht schonenden Aktionen auf der Bühne stets ein wenig peinlich zumute. Er verstand schon: das mußte gewiß alles so sein, so laut, so roh, so häßlich, aber freuen konnte er sich darüber nicht. Die junge Frau entsprach in ihrer Frische und Geformtheit überhaupt nicht seiner Vorstellung von einer Schauspielerin. Vor der Tür wog er ab, welcher der beiden Namen künstlerischer klinge. Was paßte besser, »die Lilien« oder »die Wittekind«? Beides paßte, aber »die Wittekind« paßte nicht auf die junge Frau, die war etwas Leichteres, Durchsichtigeres, bei »der Wittekind« hörte man schon das Poltern des Bühnenbodens, wenn sie stampfend auftrat - »die Lilien« hingegen tanzte und schwebte.
Lilien war tatsächlich ein Künstlername. Die Schauspielerin hatte sich da etwas zurechtgebastelt in dem Wahn, es sei der feine Name, der die Karriere mache, wo es doch umgekehrt die Karriere ist, die dem Namen, und zwar ganz gleich welchem Namen, den Glanz verleiht. Die Jugendsünde einer Frau, die vielleicht gar nicht ein Leben lang Schauspielerin sein würde. Sie wolle eigentlich weg vom Theater, ihr Ziel sei, Sprecherin zu werden. Aber das wurde erst ein wenig später mitgeteilt.
Die Tür öffnete ihr Mann oder Freund - das blieb unklar -, und das war Dr. Wittekind, Kunsthistoriker am Museum. Er war blaß und klein, hatte eine schöne hohe Stirn und große sehr helle Augen. Er hielt sich nicht gut. Sein krummer Rük-ken war die Ergänzung eines stets etwas anzüglich-ironischen Lächelns, mit dem der Mann zu sagen schien: »Das ist fabelhaft, wie gut und straff Sie sich halten, machen Sie das, solange Sie noch nicht darauf gekommen sind, daß es Ihnen genauso wenig nützen wird wie mir.«
Die Rolläden waren herabgelassen. Schon im Flur der genauso wie die obere Wohnung geschnittenen Räume reichten die doppelt gefüllten Bücherregale bis zur Decke.
»Sie sind erwartet«, sagte Wittekind, der vielleicht fünfzehn Jahre älter als Hans sein mochte. Wieder hatte er diesen leicht anzüglich-bedeutungsvollen Ton. Die Schauspielerin erschien. Diesmal trug sie etwas hellgrün und weiß Gestreiftes.
»Sie enttäuschen mich - wo sind die Hosenträger? Wie können Sie es wagen, ohne die schönen Hosenträger hier zu erscheinen?« In der Wohnung duftete es nach Tee und Lavendel. Hans war durch Wittekinds Anwesenheit zunächst etwas gehemmt, aber das verlor sich schnell. Außerdem - was hatte er erwartet? Gar nichts, durfte er sich in voller Aufrichtigkeit sagen. Und dafür fühlte er sich schnell überaus wohl bei den Leuten und wollte schließlich gar nicht mehr aufbrechen.
Leute wie Herr Dr. Wittekind, der nach kurzem übrigens schon vorschlug, ihn Elmar zu nennen, und seine Freundin Britta mit dem blumenharten Pseudonym gehörten bisher nicht zum Bekanntenkreis von Hans, und zu Inas schon ganz und gar nicht. »Bitte keine häßlichen Intellektuellen, die sich mit ihrer Bildung wichtig machen«, sagte Frau von Klein. Sie tat, als sei es nicht die Bildung selbst, die sie störe - wobei offen blieb, was sie darunter verstand -, sondern das Mitführen von Bildungsbrocken im Strom der Unterhaltung. Sie empfand
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