Kerrion 3 - Traumwelt
einer Bereitschaft, sich einer vorgefundenen Ordnung ohne weiteres unterzuordnen, was seine Kleidung anging, in eine Art Übererfüllung des geltenden Komments geraten. Dieses Sich-für-den-Beruf-Einkleiden war ihm aber auch Hilfe und Vorbereitung, geradezu wie beim Militär: wenn die Ausrüstung schon einmal stimmte, konnte danach nicht mehr viel Übles passieren. Er war, mit naßgebürstetem Haar und gut rasiertem Kinn, das Bild eines jungen Bankangestellten, als er die Wohnungstür behutsam hinter sich schloß. Manchmal machte Ina ihm einen Kaffee, bevor er ging, aber sie hielten es so, daß sie es darauf ankommen ließen, ob sie aufwachte. Sie komme nachts lange nicht zur Ruhe, sagte sie, und finde erst gegen Morgen Schlaf. Um so besser, fand Hans, dann schlief sie eben morgens.
Als er die Treppe hinabstieg, öffnete sich die Tür der eine Etage tiefer gelegenen Wohnung. Bisher hatte Hans dort kein Leben wahrgenommen. Souad sagte, die Leute seien verreist, merkwürdige Leute seien das, mißtrauische, beschränkte Menschen. Er habe ihnen angeboten, ihren Briefkasten zu leeren, aber nein, sie hatten da irgendeine andere Lösung, jemand kam und holte die Post aus dem Kasten, und das finde er nicht gut, fremde Leute im Haus. Für ihn, Souad, sei Post Vertrauenssache. Er sprach mit einem Nachdruck, als habe Deutschland ihm persönlich die Erfindung des Briefgeheimnisses zu verdanken. Hans hatte schon mitbekommen, daß es zu Souads Schicksal gehörte, als hilfreicher Freund unablässig Zurückweisungen einstecken zu müssen. Auch die Rückgabe des Bettes erforderte diplomatische Kunst, und Hans war dennoch überzeugt, daß Souad sich in abendlicher Runde über die Undankbarkeit der neuen Mieter bereits ausgelassen hatte.
Eine junge Frau stand vor ihm, mit halblangem rötlichem Haar, der milchfarbenen Haut der Rothaarigen, mit schönen grauen Augen und vollen blassen Lippen. Sie sah ihn lächelnd und auffordernd an; sie wollte nicht nur knapp wie eine Fremde im Treppenhaus begrüßt werden. Er sei der neue Mieter? Ja, der sei er. Das sei ja nett, sagte die Frau. Immer wenn sie verreist seien, wechsle der Mieter über ihnen, als müsse das in ihrer Abwesenheit geschehen.
Sie betrachteten einander mit Wohlgefallen. Die junge Frau trug ein einfaches olivfarbenes Sommerkleid. Es sah aus, als wolle sie sich in der Wüste bewegen, und paßte vorzüglich zu ihrer Haarfarbe, wie immer bei den Rothaarigen. Ob Männer oder Frauen, sie vergessen nie, an ihr Haar zu denken. Die beiden sprachen noch ein Weilchen, eine unverbindliche, nicht sonderlich geistreiche Treppenunterhaltung, aber Hans entging nicht das Lächeln, das eine bloß gutgelaunte Höflichkeit etwas übertraf. Es lag etwas Amüsiertes darin, und er war sich nicht bewußt, etwas Komisches gesagt zu haben.
»Wollen Sie wirklich so ins Büro gehen?« fragte die Frau schließlich. Hans meinte, seinen dunklen Anzug erklären zu müssen. So sei das in einer Bank, sagte er mit soviel Beiläufigkeit wie möglich, um nicht belehrend zu erscheinen. Nein, das sei ihr schon klar, antwortete sie, er gehe dort im Geschirr, aber ob er denn regelrecht angeschirrt werde dort? Ob man dort ein Zaumzeug anlegen müsse? Sie lachte, ihre Augen blitzten.
»Sehen Sie sich doch einmal an!«
Er folgte ihrem Blick, sah an sich hinunter und stellte fest, daß er die Hosenträger nicht über die Schultern gezogen hatte. Sie hingen tatsächlich zaumzeugartig unter der Jacke hervor. Es sah geradezu aus, als müsse das so sein; die Männer, die auf Laternen und Bäume kletterten, um dort etwas zu reparieren oder zu beschneiden, hatten gleichfalls solche Gurte am Leib. Er errötete, aber war zugleich dankbar. Es machte ihm niemals etwas aus, wenn man über ihn lachte. Er lachte auch jetzt von Herzen mit der jungen Frau, aber er hätte sich ihr beim ersten Mal gern anders präsentiert. Sie schaute ihm zu, wie er Jacke und Weste auszog und die prächtigen Hosenträger über die Schultern streifte. In einem Leben wie dem seinen sei so etwas einfach nur komisch, aber wenn ihr so etwas passiere, dann könne das schon schlimmer werden. Sie sei Schauspielerin und habe neulich in einem engen Kleid auf der Bühne gestanden, dessen Spaghettiträger während des Auftritts abgerissen seien. Anstatt mit ihren Händen zu agieren, habe sie sich beinahe zwanzig Minuten lang das Kleid festhalten müssen. Es sei bei einer Schülervorstellung gewesen, ohnehin eine unruhige Sache.
Sie verabschiedeten sich bei
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