Kerrion 3 - Traumwelt
Erfrischung fehlte aber viel. Die Feuchtigkeit verdampfte, es wurde schnell wieder warm.
In der Kunstwelt des Flughafens war von solchen Exaltationen nichts zu ahnen. Mutter und Tochter waren sanft gebräunt, die Mutter eine Spur mehr als die Tochter, Ina nur wie angehaucht, aber dadurch noch verschönt, auch etwas weniger zart als bei der Abreise. Vor Frau von Klein in Wiedersehensentzücken auszubrechen, verbot sich für sie beide, aber Hans bemerkte an Inas Schweigen und Lächeln, wie glücklich sie war, wieder bei ihm zu sein. Jede Minute, die sie da immer noch mit Frau von Klein in einem Flughafen-Cafe sitzen mußten, war ihnen eine Qual. Hätte die Schwiegermutter sie nicht einfach wegschicken können? Sie dachte gar nicht daran.
»Ich hoffe, ihr habt ein Gästezimmer«, sagte sie beim Abschied. Es war eine Denkunmöglichkeit für sie, im Hotel zu wohnen. Sie wäre sich wie eine Landstreicherin vorgekommen.
Viele Vorbereitungen hatte Hans nicht treffen können. Das Büro ließ wenig Zeit für Einkäufe, man schien sich sogar zu wundern, daß er um halb sieben schon aufbrach. Sein Plan sah so aus: Man konnte natürlich in der Pension schlafen, aber er dachte doch darauf hinzuwirken, daß sie in der neuen Wohnung, in den hallenden leeren Räumen campierten. Er wollte die Wohnung gemeinsam mit Ina in Besitz nehmen. In der Mittagspause hatte er Champagner und eine gebratene Ente gekauft, Bettzeug war auch in der Tasche. Er hatte an Kerzen gedacht, um das nackte Glühbirnenlicht ausschalten zu können. Im Parkhaus küßten sie sich, kaum daß sie im Auto saßen, wie einst die Liebespaare im Autokino. Sie blieben recht lange an diesem unwirtlichen Ort und fuhren erst weg, als ihnen der
Fahrer des Nachbarautos in die Scheibe sah. Beide sprachen vergnügt. Hans bereitete Ina auf das Kommende vor.
»Du darfst nicht entsetzt sein. Es ist nicht schön. Wir müssen es uns schön machen.«
Ina erzählte von Ischia. Sie hielt es für ausgeschlossen, daß er einen Fehler gemacht haben könnte. Der Abend half ihm, die Ankunft zu schmücken. Der Himmel war seidenblau, Mond und Sterne leuchteten trotz der Helligkeit mühelos. War der Baseler Platz wirklich so schlimm? Selbst die roten Bremslichter der Autos trugen bei, ihn festlich zu illuminieren. Im Hof parkten sie. Die abendliche Runde war wegen der Nässe offenbar noch nicht zusammengetreten, der Rolladen vor dem äthiopischen Stehimbiß ließ den Ausschank ebenso ausdruckslos aussehen wie seinen Besitzer. Sie stiegen die Treppen hinauf. Bs polterte im Treppenhaus. In der Wohnung schlug ihnen der Farbgeruch entgegen, da hätte man tüchtig lüften müssen. Hatte Hans die Fenster nicht offen gelassen? Jetzt waren alle geschlossen - von Souad, wie sie anderntags erfuhren, der durch das Schlagen der Fensterflügel während des Gewitters alarmiert worden sei. Der große Eckraum in seinem gleißenden Sahneweiß gefiel Ina. Sie trat ans Fenster und sah auf die Lichter draußen. Sie war in der Stimmung eines Kindes, das im Speicher seines Elternhauses zum ersten Mal auf Entdeckungsfahrt geht, und das im Rausch des Geheimnisses bereit ist, jedem Ding, das es dort oben findet, eine besondere Bedeutung zuzumessen. Hans breitete sein Picknick auf dem Tisch mit den gedrehten Säulenbeinen aus. Als sie sich umwandte und die Flasche und die gebratene Ente sah, machte sie eine Miene, als sei dies alles in einem Zauber durch die Luft geflogen. Sie tranken aus demselben Glas, Ina nicht viel, denn sie mochte eigentlich gar keinen Champagner, was Hans hätte wissen können, aber er hatte sich ganz von der Vorstellung einer Liebes-Theater-Inszenierung hinreißen lassen.
»Willst du das Schlafzimmer sehen?« Er ging durch den Flur voran. Er öffnete die Tür und machte Licht. Tatsächlich, Souad hatte nicht zuviel versprochen. Dort stand ein breites Polsterbett mit ziemlich fleckigen Matratzen. Aber was war in diesem Zimmer geschehen? An den Wänden klebten dicke Dreckbatzen, weiß-schwarze Spritzer, als habe jemand einen schmutzigen dicken Pinsel ausgeschüttelt. Auch auf dem Bett war weißer Dreck. Hans stand noch verwundert, als Ina schon begriffen hatte und aufschrie.
Auf dem Boden hockte eine große Taube, satt aufgeplustert in einer Federpracht, die dem verwilderten Großstadttier gar nicht zuzutrauen war. Nein, sie hockte nicht. Sie lag auf dem Bauch und hatte sich mit den Flügeln zugedeckt, der Kopf war still zur Seite gedreht, das runde Vogelauge starr zur Decke
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